„Wir gruseln uns einfach gern“

Interview mit der Schriftstellerin Romy Hausmann, die bei den Ingolstädter Literaturtagen liest

20.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:04 Uhr

Romy Hausmann liest am 24. Juni im Ingolstädter Kavalier Dalwigk. Foto: Astrid Eckert

Ingolstadt – Seit Jahren verschwinden Mädchen im Alter zwischen sechs und zehn Jahren. Rote Schleifenbänder weisen der Polizei den Weg zu ihren Leichen. Vom Täter fehlt seit 14 Jahren jede Spur. Dann wird der international renommierte Philosophieprofessor und Anthropologe Walter Lesniak verhaftet. Seine Tochter Ann versucht verzweifelt, die Unschuld ihres Vaters zu beweisen. Und gerät selbst in Gefahr. „Perfect Day“ heißt der dritte Thriller von Romy Hausmann (41), den sie am Freitag, 24. Juni, bei den Ingolstädter Literaturtagen im Kavalier Dalwigk vorstellt. Im Interview spricht sie über unseren Hang zum Voyeurismus und reale Verbrechen, die man sich nicht ausdenken könnte.

Frau Hausmann, wovor fürchten Sie sich?
Romy Hausmann: Ich bin ein relativ angstfreier Mensch. Meine Furcht betrifft eher die Klassiker, diese Endgültigkeiten, bei denen man keine Kontrolle mehr hat – was Krankheiten, Verlust oder Tod angeht. Ansonsten kann man ja vieles wieder hinbiegen.

Lesen Sie gern Krimis? Wenn ja, was für welche?
Hausmann: Blutige Axtmörder oder Riesenschocker interessieren mich weniger. Ich mag, wenn es psychologisch wird. Ich bevorzuge Autorinnen wie Alice Feeney, wo ganz normale Menschen in kippelige Situationen geraten. Wo vielleicht aus den richtigen Gründen die falsche Entscheidung getroffen wird.

Stimmt es, dass Sie 17 unveröffentlichte Manuskripte in der Schublade hatten, als Sie mit „Liebes Kind“ auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste landeten?
Hausmann: Das stimmt. Wobei: Die 17 Manuskripte waren nicht alle vollendet. Und es waren nicht nur Krimis. Ich hatte vor „Liebes Kind“ schon zwei Romane veröffentlicht. Da ging es um Frauen, die versuchen, sich zu finden. Ein bisschen dunkelhumorig. Im Grunde waren es so edgy Frauenromane. Leider sind sie total gefloppt. Aber es gab eine Rezension, die mich zum Nachdenken gebracht hat. Nach einer seriösen Analyse war die Kritikerin zu dem Schluss gekommen: Das, was du machst, ist der totale Horror, aber du kaschierst das in einem Frauenroman-Gewand. Das ist gar nicht dein Genre. In dem Moment dachte ich: Sie hat Recht. Also habe ich es mit einem Thriller probiert.

Und stürmten prompt die Spiegel-Bestsellerliste. Was ist Ihnen in diesem Moment durch den Kopf gegangen?
Hausmann: Für mich ging das schon viel früher los. Drei Tage nach Veröffentlichung stieg das Buch auf Platz 14 ein. Ich hatte nie die Zielsetzung, auf die Bestsellerliste zu kommen. Aber als es passierte, dachte ich: Das ist komplett verrückt. In der Woche drauf war das Buch schon auf Platz 2. Und als ich dann von meiner Lektorin den Anruf bekam: „Du bist jetzt auf Platz 1“, war ich eher wie vor den Kopf gestoßen. Ich habe mir dann abends ein Glas Wein eingeschenkt, saß einfach da und dachte: „Schön!“ Man macht das ja schon zehn Jahre und ist so daran gewöhnt, dass es nicht funktioniert. Aber man muss es einfach machen. Schreiben ist meine Art zu kommunizieren, mich mit der Welt auseinanderzusetzen. Und wenn dann irgendwann der Punkt erreicht ist, dass man vom Schreiben leben kann, dann ist das eine große Erleichterung. Das ist kein Ego-Ding. Vieles habe ich gar nicht in der Hand. Auslandsveröffentlichungen oder Verfilmungen – das ist nicht meine Leistung. Ich kann mich nur hinsetzen und mit allem, was ich habe, diese Geschichte erzählen.

„Perfect Day“, aus dem Sie in Ingolstadt lesen werden, ist ebenfalls nach Erscheinen auf die Bestsellerliste geklettert. Was muss man als Autorin fürs Thrillerschreiben mitbringen?
Hausmann: Man muss lieben, was man tut. Man muss brennen für seine Sachen, dann ist es egal, ob man Thriller schreibt oder ein Restaurant eröffnet. Dann hält man auf jeden Fall durch.

Gibt es so was wie die drei goldenen Regeln für den perfekten Krimi?
Hausmann: Ich glaube nicht. Sonst würden wir alle auf Platz 1 der Spielgel-Bestsellerliste stehen. Eigentlich ist jede Geschichte schon erzählt worden. Also sollte man sich trauen, originell zu sein. Damit verbunden ist natürlich das Risiko, dass man den Geschmack der Leser nicht trifft. Wichtig für den perfekten Thriller ist: Mut beim Schreiben.

In „Perfect Day“ verschwinden über Jahre hinweg kleine Mädchen. Ein Horror für Eltern, noch dazu, wenn Sie später – wie bei Ihnen – tot aufgefunden werden. Sie sind selbst Mutter. Kostet das keine Überwindung beim Schreiben?
Hausmann: Ich bin schon sehr in meinen Geschichten drin. Trotzdem ist es immer Fiktion. Ich würde nie explizit über sexuellen Missbrauch schreiben oder eine Figur abschlachten. Es geht mir nicht um Action. Die Mädchen, die in „Perfect Day“ verschwinden, verkörpern Unschuld. Und was mit ihnen geschieht, wird sehr subtil erzählt.

Viele Krimis setzen auf einen unverwechselbaren Ermittler – oder ein Ermittlerteam. Warum haben Sie sich anders entschieden?
Hausmann: Ermittler betrachten einen Fall ja aus einer ganz spezifischen – professionellen – Perspektive. Meine Figuren sind ganz normale Menschen, die mit Kopf, Bauch, Herz entscheiden. Wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten, finde ich viel spannender.

Warum lesen wir eigentlich so gern Krimis?
Hausmann: Ein Stück weit aus Voyeurismus. Wir konfrontieren uns mit unseren eigenen Ängsten. Und wir gruseln uns einfach gern.

Wie finden Sie Ihre Ideen? Bei der Zeitungslektüre?
Hausmann: Für mich gibt es meist ein übergeordnetes Thema – das kann Philosophie oder Psychologie sein. Bei „Perfect Day“ hat mich die Perspektive interessiert. Es gibt viele Thriller, die aus der Perspektive des Täters, des Opfers oder vielleicht auch eines Angehörigen des Opfers geschrieben sind. Aber die Familie des mutmaßlichen Täters fällt ganz oft hinten runter. Aber es gibt sie. Mich hat sehr gereizt, diese Perspektive zu wählen. Anns Vater wird beschuldigt, hinter den Schleifenmorden zu stecken. Und sie setzt alles daran, den wahren Mörder zu finden. Als Thrillerautor beschäftigt man sich viel mit wahren Kriminalfällen – etwa mit dem BTK-Killer, der zwischen 1974 und 1991 mindestens acht Menschen umgebracht hat. In ihrer Biografie beschreibt seine Tochter, wie sie aus allen Wolken fiel, als sie von den Vorwürfen hörte, und ein ganz anderes Bild ihres Vaters zeichnet. Das fand ich interessant.

Woran arbeiten Sie gerade?
Hausmann: Ich habe mich für das Buch „True Crime. Der Abgrund in dir“, das im August erscheinen wird, zum ersten Mal mit wahren Verbrechen beschäftigt und plane einen Podcast dazu mit Mark Benecke. Die echte Welt strotzt vor den schrecklichsten Geschichten. Und ich habe mich oft bei dem Gedanken ertappt: Hättest du das als fiktionalen Stoff geschrieben, das hätten dir die Leser um den Kopf geknallt – viel zu konstruiert, viel zu viel Fantasie, zu abgefahren. Aber was in der Realität wirklich passiert, kann man sich nicht ausdenken.

DK


Die Fragen stellte Anja Witzke.

ZUR PERSON

Romy Hausmann, Jahrgang 1981, hat sich 2019 mit ihrem Thrillerdebüt „Liebes Kind“ sogleich an die Spitze der deutschen Spannungsliteratur geschrieben. Mit „Marta schläft“ folgte 2020 ihr zweiter Bestseller, 2022 mit „Perfect Day“ (dtv, 416 Seiten, 16,95 Euro) ihr dritter. Übersetzungen ihrer Bücher erscheinen in 26 Ländern. Netflix wird „Liebes Kind“ 2023 als sechsteilige Serie herausbringen. Hausmann wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Stuttgart. Am 24. Juni liest sie im Rahmen der Ingolstädter Literaturtage um 20 Uhr im Kavalier Dalwigk. Karten gibt es unter www.ticket-regional.de.