Weiter geht’s mit Frankenstein und Fleißer

Während der Kulturbetrieb über sinkende Besucherzahlen klagt, zeigt sich Ingolstadts Theaterintendant Knut Weber zufrieden mit dem Saisonstart.

29.11.2022 | Stand 19.09.2023, 1:01 Uhr

Im Bühnenbild seiner Inszenierung „Requiem“: Intendant Knut Weber. Foto: Nassal

Herr Weber, in den vergangenen Spielzeiten mussten Sie coronabedingt immer wieder neu- und umplanen, auf Hygienebestimmungen der Regierung reagieren. Dazu kam das Bürgerbegehren um die Kammerspiele. Ist das die erste Spielzeit, die wieder „normal“ verläuft? Oder gibt es noch Einschränkungen?
Knut Weber: Einschränkungen gibt es derzeit keine. Dass die Spielzeit „normal“ läuft, kann man trotzdem nicht sagen. Es gibt Krankheitsfälle im Haus. Aber wir konnten jede Vorstellung retten – durch kurzfristige Umbesetzungen. Insofern fühlt der Spielbetrieb sich relativ „normal“ an. Das Thema „Theaterrestaurant“ muss allerdings dringend gelöst werden!

Die gestiegenen Energiekosten sind auch im Kulturbereich ein großes Thema. Wie kann Ihr Haus darauf reagieren? 
Weber: Da rächt sich die jahrelang verschleppte Generalsanierung des Theaters. Die Klimaanlage lässt sich nicht optimal regulieren. Die Raumtemperatur in den Büros wurde auf 19 Grad abgesenkt. Wie alle anderen städtischen Einrichtungen verzichten wir auf Nachtbeleuchtung. Ansonsten tun wir uns schwer, Energie einzusparen. Wir haben aber in den vergangenen Jahren fast alle Beleuchtungskörper auf LED umgestellt. Das spart ein bisschen. Mehr ist bei laufendem Spielbetrieb nicht möglich. Und natürlich wollen wir, dass unsere Zuschauer und Zuschauerinnen sich in den Foyers und Theaterräumen auch wohlfühlen.

Überall in der Kulturszene wird Publikumsschwund beklagt. Wie läuft es denn im Stadttheater – im Jahr 3 der Corona-Pandemie?
Weber: Wir sind zufrieden. Wir haben im vergangenen Monat so viele Zuschauerinnen und Zuschauer gehabt wie vor der Pandemie. Und wir haben in den drei Jahren Corona nur 270 Abonnentinnen und Abonnenten verloren – wir haben aktuell 4700 Abonnenten, viele übrigens aus dem Umland, die von der Abstimmung um die Kammerspiele ausgeschlossen waren. Die, die ausgestiegen sind, konnten wir durch Neuanmeldungen fast wieder ausgleichen. Oft ist es so, dass ältere Menschen, die in der Folge von Corona ihr Abo nicht mehr wahrnehmen wollten, Karten im freien Verkauf erwerben. Was den Zuschauerzuspruch betrifft, geht es uns also gut. 

Was ist Ihr Erfolgsrezept? Ein überzeugendes Programm? Oder ist das Theater tatsächlich noch so eine Art bildungsbürgerliche Bastion, die man sich trotz des großen Sparens leisten will?
Weber: Unser Publikum weiß, dass unser Anspruch an die Qualität unserer Arbeit hoch ist. Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist, dass die Bindung des Publikums an das Ensemble relativ stark ist. Dafür haben wir auch viel getan. Dann sind wir mit künstlerisch überzeugenden  Produktionen wie „Slippery Slope“, „Der Selbstmörder“ oder „Die Nashörner“ in die Spielzeit gestartet. „Long Way Down“ ist dauernd ausverkauft. „Requiem“ hat sich am Anfang etwas schwer getan, hat aber extrem angezogen. Und: Es ist nicht das schlechteste, wenn eine bildungsbürgerliche Institution wie das Theater in der gesellschaftlichen Verabredung funktioniert, gerade in Zeiten der Krise. Und unser Publikum reicht ja weit über das Bildungsbürgertum hinaus. Gerade unsere dezentralen Arbeiten in Stadtteilen und Vororten, Downtowns, Schulen oder Jugendzentren stellen das täglich unter Beweis. Die Herausforderung besteht darin, neues Publikum zu generieren ohne das alte zu verlieren.

Die Stoffe der ersten Premieren waren alles andere als leicht, drehten sich um Tod, Selbstmord, Cancel Culture. Hatten Sie Befürchtungen, dass das Publikum zögerlich reagieren würde? 
Weber: Ich hatte schon Bedenken. „Slippery Slope“ hat in Berlin super funktioniert. Aber würde es das auch in Ingolstadt? Und wie! Es ist immer ausverkauft und wird auch von den Abonnentinnen und Abonnenten sehr geschätzt. „Slippery Slope“ ist tatsächlich die Produktion, die am besten läuft.  Und bei dem Stück „Der Selbstmörder“ handelt es sich ja um eine komödiantische Farce.

Im Dezember stehen vier Premieren an. Als erstes am 3. Dezember eine Uraufführung zum Frankenstein-Stoff. Warum haben Sie denn ausgerechnet einen Musical-Spezialisten damit betraut? 2004 gab es schon mal ein Musical zu Frankenstein in Ingolstadt.
Weber: Das wird ein ganz anderes Musical. Mit Peter Lund verbindet mich eine langjährige Arbeitsbeziehung. Sein Auftrag war eine zeitgenössische Adaption des Stoffes. Sein Zugriff auf den Frankenstein-Mythos betrifft vor allem den Kern – also die Frage nach Unsterblichkeit, künstlicher Intelligenz und Verantwortung. Sein Musical erzählt eine Geschichte von heute, auch wenn die Entstehungsgeschichte des Romans den Rahmen bildet.  

Eine Woche später hat ein Fleißer-Stück Premiere. „Fegefeuer in Ingolstadt“ in der Regie von Schirin Khodadadian. Was erhoffen Sie sich von dieser Produktion?
Weber: Dieses Stück gehört einfach auf einen Ingolstädter Theaterspielplan. Die Wildheit und Kraft der Sprache ist sehr herausfordernd. Ich erwarte von Schirin Khodadadian einen neuen Blick auf die Fleißer – in einer zeitgenössisch-feministischen Lesart des Stoffes. Das spiegelt sich auch in einem interessanten Besetzungskonzept wider.  

 Die Kammerspiele-Debatte ist noch nicht zu Ende. Es werden alternative Standorte geprüft. Verfolgen Sie, wie es weitergeht – oder sehen Sie das gelassen als Problem Ihres Nachfolgers/Ihrer Nachfolgerin?
Weber: Wir verfolgen diese Diskussion sehr aufmerksam. Die Probleme verschwinden ja nicht. Wir haben jeden Tag mit den Folgen dieser bedauerlichen Entscheidung zu kämpfen. Technik, Lagerflächen, Nachhaltigkeit – alles ist nach wie vor sehr schwierig. Ganz ehrlich: So billig wird es nie wieder werden. Der ideale Standort – an der Schutterstraße – wurde meiner Meinung nach verpasst. Denn aus Sicht des Theaters wäre ein Neubau, der all unsere Bedürfnisse berücksichtigt, am sinnvollsten, auch aus Gründen von Nachhaltigkeit, Energie und Barrierefreiheit. Auch wenn sich unter den vorgeschlagenen Standorten ganz interessante finden lassen: Wie man hört, kommt dem Turm Baur eine Favoritenrolle zu. Daneben wäre aber insbesondere das Gelände des alten Hallenbads eine genau zu prüfende Option. Ein Theater gehört in die Innenstadt, nicht in die Peripherie. 

Die Stelle der Theaterintendanz wurde ausgeschrieben, die Bewerbungsfrist ist bereits beendet. Nach Ihren Erfahrungen mit Ingolstadt: Welche Eigenschaften oder Fähigkeiten sollte Ihr Amtsnachfolger, Ihre Amtsnachfolgerin mitbringen? 
Weber: Die Person oder dieses Team müsste sich mit Haut und Haaren auf die Stadt einlassen. Und vor allem Dingen ein politisches Standing haben, was den Einsatz und die Durchsetzungsfähigkeit für das neue Kleine Haus (Kammerspiele) betrifft. Ansonsten möchte ich mich aus dieser Diskussion komplett raushalten. 

DK

Die Fragen stellte Anja Witzke.