Rot ziert in China nicht nur die „Rote Fahne“, die Nationalflagge. Es gilt auch als Farbe des Glücks, der Freude, des Wohlstands. Darauf wollen uns die Kuratoren mit dem halbtransparenten, aus tiefroten Gazestoffen gefertigten Käfig in der Mitte des großen Ausstellungsraums im Museum Fünf Kontinente wohl einstimmen. Der Titel der Ausstellung verspricht: „Betörend Schön“, der Untertitel beschreibt: Chinesische Hinterglasbilder aus der Sammlung Mei-Lin. Extrem prickelnd klingt das erstmal nicht. Aber es geht ums Frauen-Bild – nicht nur in China.
Im Inneren des verführerischen Rot entdeckt man unglaublich liebevoll dekorierte, aus weichen Stoffen gefertigte Schühchen chinesischer Frauen, zum Laufen ziemlich ungeeignet. Daneben sieht man filigranen, kostbaren Schmuck, weitere Accessoires wie Haarnadeln oder diverse Fächer, und in den Vitrinen davor prachtvolle Gewänder, etwa Jacken, Kleider, Röcke, Hosen. Alles für die Chinesin, die man mitunter geradezu wörtlich auf Händen trug. Denn, das wird auch erklärt, es war im Reich der Mitte etwa 1000 Jahre lang üblich, mittels Bandagieren und Zehen brechen bei Frauen besonders kleine, sogenannte Lotus-Füße zu (de)form(ier)en. Weil um 975 n. Chr. der Kaiser von China angeblich kleine Füße sexy fand. Was freilich etwas schmerzhafter war als Lippen aufspritzen oder Falten mit Botox wegbügeln.
Die Frauen, die keine langen Strecken oder gar nicht mehr laufen konnten, litten an ihren als Schönheitsideal und Zeichen des Wohlstands begriffenen Krüppelfüßen ein Leben lang. Verboten wurde die Prozedur schließlich von Mao nach der Revolution – wohl nur, um leistungsfähige weibliche Arbeitskräfte zu bekommen.
Im Mittelpunkt der anschaulichen Ausstellung stehen 70 hinter Glas gemalte „Bilder schöner Frauen“, die vom frühen 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Auf chinesisch heißen dieses Kreationen „meiren hua“. Sie gehören seit Jahrhunderten zum fixen Bildinventar der chinesischen Malerei und werden gerne mit Verführung und der Lebenswelt von Kurtisanen in Verbindung gebracht. Von Männern für männliches Publikum gemalt zeigen sie Idealbilder weiblicher Schönheit, die durch die umgebenden Gegenstände, Möbel und Beiwerk noch gesteigert wird. Wichtig sind dabei auch die abgebildeten Details. Wohlstand suggerieren lange, gepflegte Fingernägel. Der Pekinese gilt als Sinnbild von Schutz und Stärke. Mit edlen Blumen, Blüten, Pflanzen wie Chrysantheme, Lotus, Bambus oder Orchidee verglich man Frauen gern. Diese Motive stehen für einen edlen Charakter – während Schmetterlinge, wen wundert’s, eher die unbeschwerte schnelle Romanze und auch die hingebungsvolle Liebe symbolisieren.
Ein blanker Arm galt bereits als erotischer Hinweis, und der direkte aus dem Porträt heraus gerichtete Blick auf den Betrachter verzückte die Männerwelt geradezu. Von Gleichberechtigung der Geschlechter keine Spur. Aber die Ausstellung zeigt auch den Wandel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und – sie regt zum Nachdenken an. Zum Beispiel auch über unser abendländisches Frauenbild, mit dem ja auch nicht alles in Ordnung ist.
Auch zum Malen hinter Glas erfährt man einiges. In Bayern sind Hinterglasbilder vor allem aus der Volkskunst bekannt, von der sich etwa Kandinsky und der Blaue Reiter inspirieren ließen. Nach China kam diese, durch ihre leuchtenden Farben und dauerhaften Glanz beeindruckende, aber technisch sehr anspruchsvolle Malweise erst im 18. Jahrhundert, nachdem Glasplatten, Spiegel und Ölmalerei von Europa aus vor allem ins südchinesische Kanton (heute: Guangzhou) gelangt waren. Dort entstand eine intensive Produktion, die auch den nicht-chinesischen Markt bediente. Teils wurden europäische Vorlagen detailgetreu auf Glas übertragen. Aber auch chinesische Landschaften, Vögel und Blumen, mythologische Figuren oder Alltagsszenen waren neben den nun vorgestellten „meiren hua“ gefragt.
DK
Museum Fünf Kontinente, bis 19. Januar 2025, Di-So 9.30 bis 17.30 Uhr.
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