Vom Suchen und Finden der Liebe

Viel Beifall für Walter Kiesbauers neues Musikprojekt „Es ist, was es ist“ im Bauerngerätemuseum Hundszell

24.07.2022 | Stand 22.09.2023, 20:48 Uhr

Franziska Ball und Ansgar Schäfer zeigten am Beispiel verschiedener Paare Spielarten der Liebe. Das Orchester und der Chor musizierten unter der Leitung von Walter Kiesbauer. Foto: Schaffer

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Ein Mann und eine Frau in der S-Bahn. Er guckt. Sie guckt. Und beide wagen einen Gedanken: Was wäre wenn? Einer was sagen würde? Man das Alltagseinerlei durchbräche? Man mutig den ersten Schritt wagte? Wie würde es weitergehen? „Je t’aime“, raunt das Orchester. Ein imaginierter zärtlicher Auftakt, der später zum wilden Sexgeflüster werden könnte. Und wirklich nesteln beide an ihren Mänteln. Doch darunter kommen glitzernde Dancing-Kostüme zu Vorschein. Blau, Silber, Schlaghosen, breite Gürtel. Party-Feeling. Die Musik wechselt in Disco-Style. Es wird getanzt. Ein paar wilde Tagtraum-Minuten, dann ändert sich der Rhythmus, neue Melodien wehen heran, überlagern sich, Alltagsrauschen setzt ein. Rückverwandlung. Normalität. Verpasste Chance. Hätte. Könnte. Würde. Sollte. Vielleicht. Trotzdem. Und überhaupt.

Walter Kiesbauer hat ein neues szenisches Konzert geschrieben – über die Liebe in all ihren Aggregatszuständen. „Es ist, was es ist“ − eine Zeile aus dem Gedicht von Erich Fried gab den Titel – hatte nach einer coronabedingten Verschiebung am Samstagabend im Bauerngerätemuseum Premiere. Und wurde nach zwei Stunden mit langem Applaus bedacht.

Walter Kiesbauer erzählt von den Spielformen der Liebe in Schlaglichtern am Beispiel verschiedenster Paare. Die Angst vor dem Alleinsein. Die Sehnsucht nach einem Du. Das Warten auf den Richtigen. Die Angst vor dem Versagen. Trotz und Begehren. Der Kampf um Eigenständigkeit. Wahrheit und Lüge. Romantik und Verklärung. Eifersucht und Misstrauen. Erschöpfung und Gleichgültigkeit. Wie kommt man überhaupt zusammen? Wie findet man den richtigen Partner? Und wie bleibt die Liebe lebendig? In Franziska Ball und Ansgar Schäfer hat Walter Kiesbauer zwei Darsteller gefunden, die sich mit viel Witz und großer Energie durch all diese emotionalen Ausnahmezustände singen und spielen. Und das Symphonie-Orchester steuert mit Verve den passenden Soundtrack bei. Der klingt mal schwelgerisch-cineastisch, mal wie wirbelnde Zirkusmusik, hier druckvoll, temporeich, satt, dann wieder zart, sehnsuchtsvoll, unsicher. Motive blitzen auf. Ahnungen. Erinnerungen. Zitate. Die große musikalische Bandbreite verleiht der Handlung auf vielfältige Weise Tiefe, Plastizität, Intensität. Walter Kiesbauers Kompositionen weisen komplexe Strukturen und einen exquisiten Stilmix auf und bieten eingängige Melodien.

Eine wichtige Aufgabe kommt auch dem Chor zu, der sich wie das Projektorchester aus Sängerinnen und Sänger der Region zusammensetzt und wie der Chor im antiken Drama alles kommentiert. „Wie sie nur jammern, wie sie klagen“, singt er etwa, wenn ER und SIE über das Alleinsein lamentieren. Der Chor buchstabiert „B L I N D D A T E“, stellt Vermutungen über den weiteren Verlauf des Rendezvous an, schubidut sich lässig durch Abend und entpuppt sich mitunter als Voyeur, wenn es dann doch mal ein Match in der Dating-App gibt.

Raffiniert greift all das ineinander. Der orchestrale Klang, die Liebes-Leid-Duette, der vorwitzige Chor, das szenische Spiel fügen sich zu einem unterhaltsamen Abend über die (Un)Möglichkeiten der Liebe. Nach gut zwei Stunden erklatscht sich das Publikum sogar noch eine Zugabe.

DK