Fränkische Romantik: Heute Abend ermitteln die "Tatort"-Kommissare in Würzburg

22.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:47 Uhr
Die Kriminalkommissare Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid, von links), Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) mit Prof. Magdalena Mittlich (Sibylle Canonica) untersuchen einen Schädel. −Foto: Bayerischer Rundfunk

Würzburg (DK) Romantik hat mit Kitsch wenig und viel mit Herzschmerz zu tun. In der zweiten Folge des „Tatort“ aus Franken (Sonntag, 20.15 Uhr im Ersten) tauchen die Ermittler in dunkle Wälder, einsame Städte und sterile Anatomie-Räume hinab, um das Gegenteil von Einsamkeit zu suchen. Dazwischen geistert E.T.A. Hoffmann mit seinen Schauermärchen. Bei so viel Gefühl würden Verfolgungsjagden und Schießereien nur stören.

Liebe und Trauer, Glück und Tod sind Nachbarn in der Anatomie der Uni Würzburg. An den gegenüberliegenden Steilhängen wächst der Wein, an den Mainufern blüht das Leben. In den Kellern der Anatomie warten die Toten auf die Seziermesser. Schaudernd sehen wir einem jungen Doktoranden (Nils Strunk) dabei zu, wie er Knochen gleich einem Puzzlespiel zusammensetzt. Schlägt man im Duden das Wort „Sorgerecht“ nach, könnte man in der Beschreibung den Titel des zweiten Falls aus Franken finden: Das Recht, sich zu sorgen. 

In der nächsten Einstellung folgt die Kamera den beiden Hauptkommissaren Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) zu einem Gasthof ins Unterholz. Wie ein wildes Tier kauert ein Mann mit geschultertem Gewehr im Dickicht. Erst viel später wird Kommissar Voss das Buch eines fränkischen Romantikers hinter der Windschutzscheibe entdecken und stumm den Titel lesen: Lebens-Ansichten des Katers Murr von E.T.A. Hoffmann. 

Derweil schickt Regisseur Andreas Senn die Zuschauer aus dem Wald zurück in die Anatomie. Kühl und elegant streift Magdalana Mittlich (Sibylle Canonica) durch die Gänge. Wie es der Teufel will läuft die Leiterin der Anatomie dem Studenten mit dem Schädel in die Arme. „Hier ist etwas falsch. Die Kalotte passt nicht zum Rest des Skeletts“, sagt der und erntet mächtige Fragezeichen. „Kann nicht sein“, sagt die strenge Chefin und schnappt sich den Schädel, der schon bald zum Corpus delicti wird. Weil heikel ist das schon, wenn so ein falscher Schädel in der Anatomie auftaucht. Also greift die Professorin zum Telefon. Am anderen Ende hebt der Nürnberger Polizeipräsident ab. Man kennt sich, man hilft sich. Mirko Kaiser (Stefan Merki) schickt seine Leute undercover nach Würzburg. 


Derweil wird die Wirtin in der guten Stube des Gasthauses im Wald gefunden. Zu allem Überfluss schlägt vor dem Polizeipräsidium eine Mutter, die ihren Sohn vermisst, ein Protestcamp auf. Bei der Polizei halten sie die Dame für verrückt. Nur Ringelhahn hat Antennen für ihre Sorgen. Im Wald haben Michael Schatz (Matthias Egersdörfer) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) derweil den Täter schon im Visier. Nur in der Anatomie sorgt der falsche Schädel noch für Kopfschmerzen. Der Zuschauer verliert zwischen Anatomie, Wirtshaus und Polizei-Protestcamp gelegentlich die Orientierung. 

Auf halsbrecherische Verfolgungsjagden und wilde Schießereien verzichtet der neue Tatort aus Franken. Gerade deswegen lohnt es sich wach zu bleiben. Es sind die kleinen Gesten, die wichtig sind in diesem Film. Wenn Voss verträumt Hoffmanns Kater Murr streichelt. Wenn Ringelhahn sich als Einzige umdreht in einer Welt, in der sich alle daran gewöhnt haben, anderen die kalte Schulter zu zeigen. Dass eine polnische Putzfrau (beeindruckend Karolina Lodyga) den stärksten Auftritt in diesem melancholischen Schauermärchen hat, ist daher nur folgerichtig. Krimi funktioniert in Franken auch ohne Action. Die Franken sind eben Romantiker.