Trauriges Lächeln

Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters mit Alfredo Perl

21.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:17 Uhr

Für die Liebe auf den zweiten Blick: Alfredo Perl spielt das Mozart-Klavierkonzert KV 453, begleitet wird er vom Georgischen Kammerorchester unter der Leitung von Paweł Kapuła. Foto: Schaffer

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Das Klavierkonzert KV 453, das beim zweiten Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters auf dem Programm stand, gehört nicht zu den berühmten Werken Mozarts. Es fehlt die düstere Melancholie des d-Moll-Konzerts, der pompöse, repräsentative Glanz der Krönungskonzerte und die traumwandlerisch sichere Melodienseligkeit des frühen Jeunehomme-Konzerts. Das Klavierkonzert 453, das Mozart 1784 für eine begabte Schülerin komponierte, ist vor allem unauffällig und merkwürdig introvertiert. Es mangelt ihm an kraftvoller Virtuosität, an grellen Effekten. In G-Dur komponiert moduliert Mozart immer wieder in weit entfernte Tonarten oder bricht unversehens ins dunkle Moll aus. So wirkt das Klavierkonzert für manche Kritiker fast schon frühromantisch.

Aber in dem Konzert gibt es viel zu entdecken: überraschende harmonische Wendungen, plötzliche Ausflüge in Moll-Tonarten, Nebenthemen. Vor allem aber liegt über dem Konzert eine merkwürdige Melancholie selbst in den heitersten Melodien. Ein Konzert des traurigen Lächelns. Es ist eindeutig ein Musikstück für die Liebe auf den zweiten Blick.

Genau diesen Blick auf dieses ungewöhnliche Werk scheint der chilenische Pianist Alfredo Perl zu besitzen. Jeden Ton, jeden Gedanken formt er an den schwarz-weißen Takten mit äußerster Hingabe und schier unendlichem Differenzierungsvermögen. Fast nie wird er dabei laut, nie wirkt irgendetwas vordergründig virtuos, kaum je wählt er schnelle Tempi. Durch die fast schon huldigende emotionale Anteilnahme an jeden Melodiebogen, drängt er das Konzert unmerklich in Richtung Romantik. Denn Perl spielt mit vielen Verzögerungen, Rubati, einer fast schon improvisierenden Gestaltung.

Das alles geschieht mit faszinierender Intensität, und es könnte ein wirklich ergreifendes Konzertereignis sein, wenn das Orchester hier nicht fast ein wenig banal-langweilig spielen würde.

Tatsächlich läuft an diesem Abend das wieder zur Kammerphilharmonie erweiterte Georgische Kammerorchester erst bei den symphonischen Werken zur großen Form auf. Besonders der junge polnische Gastdirigent Paweł Kapuła macht seine Sache sehr überzeugend. Bei den drei Stücken im alten Stil seines Landsmanns Henryk Mikolaj Górecki führt er das Orchester mit geradezu magischer Intensität. Mit seinen Bewegungen scheint er die Musik zu tragen, keinen Moment lässt er die Spannung absinken, immer drängt er nach vorne, hat die große Linie im Auge. Das ist absolut faszinierend zu erleben, man hat das Gefühl einem wirklich großen Talent zu begegnen.

Dieser Eindruck verstärkt sich noch am Ende des Konzerts, wenn Kapuła die 5. Sinfonie von Franz Schubert dirigiert. Auch hier ist jeder Satz spannungsgeladen. Aber der junge Pole setzt mehr als beim Górecki auf besondere Akzente, auf Kontrastwirkungen. Wieder wählt er eher maßvolle Tempi, was es ihm erlaubt, mit großer Ruhe die verschiedenen Stimmungen des Werks gegeneinander abzusetzen. So kommt die sonst eher hitzig-italienisch wirkende Sinfonie hier eher norddeutsch, wohlkalkuliert herüber. Nichts gelingt so gut wie der Schlusssatz, den Kapuła nun doch durchaus mit Rasanz und Temperament leitet – als wäre es eine Haydn-Sinfonie. Das Publikum applaudiert begeistert – und hätte eigentlich eine Zugabe verdient gehabt.

DK