Träume aus der Kamera

Die Fotografin Shirin Hamo arbeitet international für die Modebranche und fühlt sich in Ingolstadt zu Hause

27.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:03 Uhr |

Verführerische Frauen, coole Männer: Shirin Hamo (Foto unten) spielt mit Klischees. Fotos: Hamo

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Shirin Hamo verkauft Träume. Die Ingolstädter Fotografin zeigt die Menschen, wie sie aussehen könnten. Da sieht man etwa eine Frau vor einer mondänen Badewanne sitzen im Abendkleid. Zwischen ihren Beinen stehen ein Champagner-Glas und eine Schale mit Weintrauben. Den Betrachter blickt die Frau mit fast provokativem Ernst an. Was will uns dieses Foto voller symbolischer Verführungsgewalt, voller Einsamkeit, Sehnsucht erzählen?

Oder die Frau im roten Kleid, die im Wasser treibt, perfekt geschminkt und frisiert, als wäre sie nicht von dieser Welt? Oder der arabisch wirkende Mann mit Goldkettchen, der uralte Handys vorzeigt, während Tätowierungen aus den Ärmeln hervorscheinen?

Das alles sind Klischees. Träume von einem verruchten Leben, von fantastischem Reichtum, märchenhafter Schönheit. Eine Welt, in der alles perfekt ist. Die Männer stark und cool, die Frauen sexy und verführerisch, das Umfeld stimmungsvoll. Die Klischees treten hier so geballt auf, dass jedes Bild bis zum Übermaß künstlich wirkt und zum Kunstwerk wird.

Shirin Hamo verkauft diese Träume, das ist ihr Geschäftsmodell. Ihre Kunden sind Fashion-Firmen und Musik-Labels. Für sie macht sie die Welt schöner. Auch Privatkunden nehmen ihre Dienste in Anspruch. Frauen etwa, die erleben wollen, wie es ist, ein Model zu sein, ein Star, „wenn sich ein paar Stunden lang komplett alles um sie dreht“, erzählt Shirin Hamo. Dazu beschäftigt sie ein ganzes Team, zuständig für Make-up und Frisur und natürlich auch das Outfit. „Ich bin selbst eine Frau“, sagt sie, „ich weiß wie es ist, wenn man ein neues Kleid vorführen kann.“ Dabei ist es Hamo wichtig, dass nicht nur die Fotos gelingen und eine bessere Version des eigenen Selbst präsentieren, sondern dass der ganze Prozess zu einem einmaligen Erlebnis wird. „Das ist wie ein Friseurbesuch, eine Möglichkeit, völlig zu relaxen.“

Shirin Hamo, die sich selbst gerne präsentiert als wäre sie gerade einem Hochglanz-Magazin entstiegen, liebt die Welt der Illusionen. Dabei kommt sie selbst eher aus schwierigen Verhältnissen. Ihre Familie flüchtete 1999 aus Syrien, da war sie gerade mal vier Jahre alt. Die Familie hatte es schwer sich durchzuschlagen. Die Ingolstädter Tafel waren ein bekannter und wichtiger Ort für die Flüchtlinge. Jetzt ist Shirin Hamo erfolgreich. Und möchte in Dankbarkeit etwas zurückgeben. So spendete die 27-Jährige mehr als 2400 Euro von den Einnahmen aus ihrer kürzlich im P3 gezeigten Ausstellung mit ihren Fotografien an die Ingolstädter Tafel.

Shirin Hamo hat alles aus eigener Kraft geschafft. Bereits vor zehn Jahren, im Alter von 18 Jahren eröffnete sie ein Fotostudio und ist seitdem selbstständig. Eine Ausbildung hat sie nie absolviert. Zur Fotografie kam sie durch Zufall. „Ich war immer sehr künstlerisch orientiert“, erzählt sie. „Ich habe ein eigenes Stück geschrieben, das zweimal aufgeführt wurde, ich habe gemalt und gedichtet, Regie geführt und geschauspielert.“

Kurz bevor sie zum ersten Mal eine Fotokamera in der Hand hielt, hat sie im Rahmen eines Jugendprojekts der Fronte 79 mit anderen Schülern zusammen einen Film gedreht. Das hat ihr Spaß gemacht – bis auf den Schnitt. „Das hat mich abgeschreckt, das ist nicht meins“, sagt sie heute. Aber Kameras haben sie fasziniert. So hat sie sich zunächst eine Fotokamera von einem Freund geliehen und so viele Fotos wie möglich gemacht. Vor allem aber hat sie das gemacht, was ihr heute noch am meisten gefällt: Menschen fotografiert. Als sie professionelle Fotografin wurde, waren ihre ersten Auftraggeber Freundinnen und deren Freunde. „Ich habe nie Werbung gemacht“, erzählt sie. Dennoch hatte sie bald interessante Aufträge, besonders in der Modebranche. Heute reist sie für ihre Aufträge von Stadt zu Stadt und ist inzwischen sogar international tätigt. Gerade in Istanbul, „eine führende Modestadt“, hält sie sich immer wieder auf.

Wichtig ist ihr die eigene Unabhängigkeit. Das geht so weit, dass sie sich auch bei ihren Fotografien eine maximale Gestaltungsfreiheit wünscht. Reportage-Fotografie, Pressefotografie interessiert sie nicht. Sie möchte ihre Bilder inszenieren als wären es kleine Theaterstücke. Die Sehnsucht nach dem Narrativen hat sie zuletzt wieder zum Film zurückgebracht. Für einige Musiker hat sie Skripts für Promotion-Filme entworfen.

So umtriebig Shirin Hamo inzwischen ist – in Ingolstadt will sie auf jeden Fall bleiben. „Wenn ich von Reisen zurückkomme, dann ist das hier ein Ruhepol für mich“, sagt sie. Zu ihrer alten Heimat Syrien hat sie kaum noch Kontakt, längst hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. „Das hier ist meine Heimat“, sagt sie und meint damit vor allem Ingolstadt.

DK


Weitere Informationen im Internet: shirinhamo.com.

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