Alceste ist ein Einzelgänger. Er verachtet die Gesellschaft für ihre Heuchelei und Oberflächlichkeit. Sein Ideal ist unbedingte Wahrhaftigkeit. Fanatisch versucht er, sein Umfeld zu bekehren. Mit anderen Worten: Alceste ist anstrengend. Und: Er ist verliebt. Und das ausgerechnet in Célimène, die scheinbar eine beträchtliche Anzahl an Liebhabern um sich versammelt. Alceste ringt um ihre Liebe, aber seine Weigerung, sich den gesellschaftlichen Spielregeln anzupassen und sich diplomatisch zu geben, kann nur ins Scheitern führen.
Der französische Dramatiker und Schauspieler Molière (1622–1673) wusste, dass nichts komischer ist als der Mensch im Strudel seiner Schwächen. Als seine Komödie „Der Menschenfeind“ am 4. Juni 1666 in Paris uraufgeführt wurde, spielte er selbst die Hauptrolle.
Tilo Nest ist Schauspieler („Kaspar Hauser“, „Tatort“), Sänger und Regisseur – und wird die Komödie am Stadttheater Ingolstadt inszenieren. In der Rolle des Alceste wird man dann Enrico Spohn sehen – und Edda Wiersch als Célimène. Vor 35 Jahren hatte Tilo Nest selbst im Schauspielhaus Bochum im „Menschenfeind“ gespielt – einen der beiden Marquis.
Als Intendant Oliver Brunner ihm das Stück anbot, sagte er zu. „Ich bin mit einer Französin verheiratet und habe dadurch eine frankophile Ader. Molière hat mich schon immer angezogen. Er ist nach Shakespeare der zweitbeste Menschenkenner. Vor allem war ich begeistert von Ariane Mnouchkines opulentem Historienfilm über Molière aus den 70er Jahren – eine Liebeserklärung an das Theater“, erklärt Tilo Nest. Als ihn die Anfrage des Stadttheaters Ingolstadt erreichte, war er gerade in Frankreich, im Familienhaus seiner Frau. „Dort habe ich tatsächlich eine Werkausgabe von Molière von 1777 gefunden – die habe ich mir als Talisman mitgebracht. Bei der Wiederbegegnung fand ich faszinierend, dass das Stück auf unheimliche Art und Weise zeitlos ist. Es erzählt von den Macken und Unarten der Menschen und die sind genauso hintertrieben, verlogen und heuchlerisch wie zu der Zeit, als Molière das Stück geschrieben hat.“
Für die Inszenierung hat Tilo Nest die Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger aus dem Jahr 1979 gewählt. Der hatte selbst über seine Arbeit geschrieben: „Je genauer ich meinen Molière studierte, desto mehr Echos stellten sich ein. Auf Schritt und Tritt begegneten mir, in München, Hamburg, Düsseldorf, Reaktionen, Mechanismen, Verkehrsformen, die denen der Komödie bis ins Detail glichen. Ich entdeckte, dass die Party, die am Abend des 4. Juni 1666 auf der Bühne des Theaters von Palais-Royal begann, immer noch andauert, und dass sich das Verhalten der Gäste nur in unerheblichen Äußerlichkeiten verändert hat.“ Folgerichtig lässt Regisseur Tilo Nest das Stück „in einer diffusen Zeit spielen“. Es wird Handys auf der Bühne geben und die Kostüme von Anne Buffetrille spannen einen Bogen von Louis-quatorze zu Heute. „Ein Stilmix zwischen alt und neu.“ Auch die Musik von Kostia Rapoport mischt Pop mit Chansons aus den 50er Jahren.
Im Grunde aber funktioniert der „Menschenfeind“ über die Sprache. „Für mich ist es eigentlich eine Sprachoper“, sagt Tilo Nest und schwärmt: „Die Fassung von Enzensberger ist im besten Sinne hörenswert.“ Es wird in Alexandrinern gesprochen. „Ich finde, das beschwingt einen beim Zuhören.“
Und was soll das Publikum mitnehmen? Tilo Nest überlegt kurz: „Mein Ideal ist, dass man danach in die Pizzeria geht und sich darüber unterhält, wer Recht hat.“
DK
Premiere ist am Freitag, 6. Dezember, um 19.30 Uhr im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.
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