Suche nach dem Selbst

Preisträger des Internationalen Solo-Tanz-Theater-Festivals Stuttgart im Kulturzentrum neun

16.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:30 Uhr

Packendes Tanztheater: Tonia Laterza (oben), Arnau Pérez de la Fuente, Ahmed Soura (rechts) im Kulturzentrum neun. Fotos: Schaffer

Von Dagmar Kusche

Ingolstadt – Die Bühne ist ein Geschenk voller Möglichkeiten für Theater und Tanz. Dies bewiesen am Samstagabend die fünf Preisträgerinnen und Preisträger des Internationalen Solo-Tanz-Theater-Festival Stuttgart mit einem atemberaubenden und vielfältigen Programm, das auf Einladung der Organisatoren der Ingolstädter „Tanztage 2022“ im Kulturzentrum neun präsentiert wurde. Die ausgezeichneten Tänzer und Choreographen hatten in unterschiedlichen Jahren an einem renommierten Wettbewerb für zeitgenössischen Tanz teilgenommen und die Jury mit ihren Ideen und Choreographien überzeugen können. Mit ihren zwölf Minuten langen Tanzperformances begeisterten die fünf Tänzerinnen und Tänzer aus Spanien, Israel, Burkina Faso, Italien und der Slowakei das Publikum.

Mit einer fulminanten Choreographie eröffnete der Spanier Arnau Pérez de la Fuente, Absolvent des Conservatorio Superior de Danza de Madrid und inzwischen Leiter eigener Tanzprojekte in Madrid, die Tanzschau. Im Zentrum seiner Choreographie mit dem Titel „Single“ stand eine rote Schallplatte – Symbol für den kommerziellen Betrieb von Musik, für individuelle Emotionen, aber auch für gesellschaftliche Zustände. In kürzester Zeit zog Pérez sein Publikum mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz, seinen akrobatischen Tanzbewegungen und ausdrucksstarker Mimik in den Bann, spielt tänzerisch mit Assoziationen des Begriffs der „Single“ und setzt sich mit der in unserer Gesellschaft etablierten Individualität auseinander, die auch zur Einsamkeit werden kann. Absolut nachvollziehbar ist die Begründung der Jury des Stuttgarter Solotanzfestivals, die Pérez für diese Choreographie, in der er auf intelligente Weise Musik, Requisiten, Licht und Kostüme einsetzt und so eine dynamische, dramaturgische und theatralische Entwicklung vorantreibt, den ersten Preis Choreographie 2021 verlieh.

Der Ästhetik des klassischen Balletts verschrieben hat sich die Choreographin Anat Oz aus Israel, die ihr Solowerk „THIRD“ selbst auf der Bühne interpretiert und 2020 mit dem zweiten Preis Tanz ausgezeichnet wurde. In ihrer Choreographie stellt Oz eindrucksvoll unser Selbst in verschiedenen Zuständen des Seins dar und sucht nach Wegen, um tiefe Emotionen verständlich zu kommunizieren: Trauer und Freude, Verliebtsein und Höhenflug, Verzweiflung und Wahnsinn – das starke Solo der vielfach prämierten Israelin berührt extreme Gegensätze.

Einen tänzerisch ebenso mitreißenden wie hochkarätigen Sprung nach Burkina Faso in Afrika vollzog Ahmed Soura, der 2011 den dritten Preis für Tanz erhalten hatte und in Ingolstadt seine Choreographie „En opposition avec moi“ präsentierte. Inspiriert von der Geräuschkulisse auf dem Markt in seiner Heimatstadt Ouagadougou, begleitet von einem Mix aus elektronischer Musik und südafrikanischer Percussion und immer wieder selbst mit ausdrucksstarker Stimme und Mimik arbeitend nahm der Tänzer die Bühne ganz für sich ein, tanzte, turnte, sprang, wirbelte akrobatisch über die Fläche und erheiterte sein Publikum zwischendurch mit haarsträubend komischen Grimassen. Eine Tanzpause gönnte sich der Tänzer in seinem Solo nur, als er verzückt Honig aus einem Glas schleckend am Boden saß, während ein Video den Zuschauern Einblicke in sein eindrückliches tänzerisches Wirken in seinem Heimatland bot.

Geheimnisvolle Musik, gepaart mit einer leise herantanzenden Frau, einen roten Koffer auf dem Kopf balancierend, erklingt bei der vierten Tanzperformance von Simona Machovicová aus der Slowakei. Den Publikumspreis 2015 hat die Slowakin 2015 für ihre Choreographie und ihren Tanz „Note for him“ erhalten, der in faszinierender Weise die Geschichte einer Frau erzählt, die – als Teil ihrer Identität – ein Geheimnis hütet, das sie nicht preisgeben will.

Dennoch will ihr Freund über dieses Bescheid wissen, und – in dem Solotanz dramaturgisch ebenso wie choreographisch ausdrucksstark dargestellt – sie offenbart sich. Doch wie soll er mit diesem Geheimnis umgehen? Mucksmäuschenstill und gebannt verfolgten die Zuschauer die theatralisch und tänzerisch hinreißend präsentierte Performance.

„Equal to Men“ – „den Männern ebenbürtig“ – so war das krönende Finale des Tanztheaterabends betitelt, mit dem Tänzerin Tonia Laterza und Choreographin Roberta Ferrara, beide aus Italien, 2018 gleich drei Preise erhalten hatten. Wilde und furchterregend-kriegerische Trommelklänge und Rufe versetzten das Publikum in das fiktive Land Amazonien, wo Frauen reiten, den Bogen spannen und den Speer werfen und ihre Jungfräulichkeit bewahren, bis sie mindestens drei Feinde getötet haben. Mit enormer Bühnenpräsenz, tänzerischer Ausdrucksstärke und vielfältigen dramaturgischen Höhepunkte setzte sich Laterza in ihrer Performance mit der griechischen Mythologie der Frauen auseinander, die „männergleich“ in den Kampf zogen, diesen aber doch oft verloren.

Mit Standing Ovations verabschiedete das Publikum die fünf Preisträger des renommierten Stuttgarter Internationalen Solo-Tanztheater-Festivals, das seit inzwischen 27 Jahren veranstaltet wird.

DK



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