Ingolstadt
Spurensuche und Sammlerleidenschaft

Der Fotograf Jean Molitor über Bauhaus in Bayern und in aller Welt – Ausstellung im Neuen Kunstverein Pfaffenhofen

14.06.2022 | Stand 14.06.2022, 19:12 Uhr

Architektonische Schätze und Fundstücke: In Benediktbeuern hat Jean Molitor diese Tankstelle von 1955 entdeckt. Fotos: Jean Molitor, be.bra Verlag

Pfaffenhofen – Er hat einen klaren und unbestechlichen Blick auf moderne Architektur, reist auf der Suche nach berühmten, aber auch weniger bekannten oder komplett unbekannten Häusern, Gebäuden durch die ganze Welt – von Libyen bis Kuba, von Guatemala bis Eritrea. Jean Molitor, Berliner Fotograf, der seit 2009 das Projekt „bau1haus“ initiiert hat, eine Mischung aus Dokumentation und Kunstprojekt, mit dem er Bauten der Moderne aufspürt und über die Fotografie globale Verbindungen und kosmopolitischen Austausch in der Architektur sichtbar machen will. Die Arbeit ist oft ein Wettlauf gegen die Zeit. Viele der fotografierten Bauten gibt es nicht mehr, auch in Bayern. Andere sind bedroht durch Abriss, Verfall oder Investitionsdruck. Seit 2016 ist die Münchner Architekturhistorikerin Kaija Voss mit Texten und wissenschaftlichen Recherchen im Projektteam und Partnerin bei seinen Veröffentlichungen, Ausstellungen und Büchern. Ab 24. Juni zeigt der Neue Pfaffenhofener Kunstverein eine umfassende Ausstellung des Künstlers unter dem Titel „Bauhaus in Bayern und in aller Welt“. Wir haben mit dem reisefreudigen und teils auch abenteuerlustigen Fotografen über seine Inspiration, kritische Situationen und architektonische Schätze geredet.

Herr Molitor, 2009 waren Sie in Burundi und nennen diesen Auftrag als Schlüsselmoment für Ihre Leidenschaft für das neue Bauen weltweit. Was hat konkret den Ausschlag gegeben, dass Sie inzwischen ein regelrechter Sammler von Gebäuden sind, die vom Bauhaus und der Moderne inspiriert sind?

Jean Molitor: Mein Schlüsselmoment von damals ist immer noch mein heutiger Antrieb und meine Inspiration. Eigentlich ein Dreiklang: Reisen, fotografieren, Menschen treffen oder eben Zeit mit Menschen verbringen. Eine Freundin, die dort für eine NGO arbeitete, fragte mich, ob ich in Burundi vom Verfall bedrohte belgische Architektur fotografieren könnte und wollte. Wollte ich. Das war der Anfang. Ich habe realisiert und vermittelt bekommen, dass es überall auf der Welt Bauten gibt, die in der Tradition des Bauhauses stehen.

Sie sind weltweit unterwegs, in vielen Städten und Landschaften stehen noch einzigartige Bauten, die nur darauf warten, von Ihnen entdeckt zu werden. Wie groß ist der Suchtfaktor?
Molitor: Von Suchtfaktor würde ich nicht sprechen. Es ist so etwas wie eine Freudenquelle, manchmal wie ein Rausch, wenn man vor Ort ist. Aber mein Ziel ist ja nicht, die „Big Five“ abzuarbeiten. Und ich muss auch immer eine Finanzierung für ein Projekt finden. Das Ganze ist sehr komplex, aber darin liegt womöglich auch der Reiz. Und das Reisen und Entdecken bedeutet auch, dem Zufall eine Chance geben. Was passiert, wenn man sich auf das Leben einlässt?

Sie sind immer wieder in heikle und durchaus kritische Situationen geraten. Wie haben Sie das alles gemeistert?
Molitor: Mit einer schweren Spiegelreflexkamera erweckt man oft Aufsehen in bestimmten Ländern, denn Touristen schleppen die ja nicht mit sich herum. Und man sollte auch nicht mit einem Pressefotografen verwechselt werden, denn das bringt dann auch eher Probleme mit sich, als dass es diese löst. Es ist einfach häufig sehr schwer vermittelbar, warum ich morgens um 8 Uhr leerstehende, verfallene oder vergessene Gebäude fotografiere. Ich wurde durchsucht, ich war auf Polizeistationen, man glaubte, ich sei ein Spion, im Niger war die Ausreise recht schwierig, ich war in Krisengebieten wie in Afghanistan. Aber letztlich kam ich mit diplomatischem Geschick und Glück immer ungeschoren aus der Situation.

Wie finden Sie all Ihre Gebäude? Manchmal ja an entlegenen Orten.
Molitor: Die schönsten Häuser und Gebäude findet man zufällig. Auf Reisen, in Bibliotheken, durch Berichte, durch Freunde, im Netz. Und dann beginnt die Recherche.

Ihre Fotografien sind menschenleer, das Gebäude wird zum Solitär.
Molitor: Ich vergleiche meine Fotografien mit Porträts von Menschen. Jedes Haus ist anders, jede Situation, jede Geschichte ist verschieden. Ich versuche, den Häusern und Gebäuden, die vor Jahrzehnten gebaut wurden, ihrer Schönheit, ihrem Wesen, ihrer Einzigartigkeit gerecht zu werden. Es ist so etwas wie die Seele des Gebäudes. Durch die Klarheit der Schwarz-Weiß-Fotografien und die Abwesenheit des Alltagsgeschehens entsteht etwas Besonderes, schaut man genauer und neu auf das Gebäude. Der entscheidende Unterschied zum Porträt ist aber: Das Haus redet und bewegt sich nicht.
Sie haben sich auch auf Bayern-Tour begeben.
Molitor: Ja, und habe erlebt, dass es auch unglaubliche Schätze vor der Haustür gibt.

Durch Corona wurden Sie in Ihrer Tätigkeit ausgebremst. Wie schwer war das, und was haben Sie stattdessen getan?
Molitor: Das traue ich mich gar nicht zu erzählen. Ich war 2019 so eingespannt mit 24 Ausstellungen und ich hatte in zehn Ländern fotografiert und war wirklich erschöpft. Ich sagte Anfang 2020 noch, ich brauche jetzt unbedingt eine Auszeit. Die kam dann ja leider von selbst. Ich wusste also, ich kann nicht reisen, kann nicht raus, also räume ich erst einmal auf, sammle mich. Aber nach vier Wochen war alles erledigt, und ich hatte mir neue Projekte ausgedacht. Ich habe dann quasi meine visuellen „Lücken“ gefüllt, bin viel mit dem Auto durch Europa gereist: nach Stockholm, nach Kopenhagen, nach Polen, in Deutschland. Und ich habe zwei neue Bücher veröffentlicht.

Was werden Sie in Pfaffenhofen zeigen?
Molitor: Mir ist es wichtig, dass sich meine Ausstellungen unterscheiden, dass es ein kuratives Grundthema gibt, dass ich mir die Räume ansehe und Spannungsbögen schaffe, die zur Location passen und die Fotografien in Korrespondenz zum Raum und Ort stehen. In der großartigen Kunsthalle führt der Weg von Pfaffenhofen, dem Verstärkeramt von Franz Holzhammer, über Bayern, Deutschland nach Europa und in die Welt. Ich werde 120 bis 130 Fotografien zeigen. Es wird meine bislang größte Ausstellung sein.

DK


Das Interview
führte Katrin Fehr.


ZUR PERSON

Jean Molitor, 1960 in Ost-Berlin geboren, ist Dokumentarfilmer und Kameraassistent. Er studierte Künstlerische Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Jean Molitor bereist die ganze Welt für seine Fotoreportagen, lange auch für „Street Photography“. Seit 2009 findet er überall die architektonischen Erben des Bauhauses. Infos auch über sein Kunstprojekt „bau1haus“ gibt es unter www.jean.molitor.photography.

„Bauhaus in Bayern und in aller Welt“ wird am Freitag, 24. Juni, im Neuen Kunstverein Pfaffenhofen um 19 Uhr eröffnet. Begrüßung: Karin Probst, stellvertretende Vorsitzende des Kunstvereins, Einführung: Kaija Voss, Architekturhistorikerin. Jean Molitor ist anwesend. Die Ausstellung läuft bis 7. August. Geöffnet Do bis So von 15 bis 18 Uhr. Führungen mit Kaija Voss an den Sonntagen 26. Juni, 3., 17. und 24. Juli jeweils um 15 Uhr. Am Freitag, 1. Juli, von 15 bis 22 Uhr: Lange Nacht der Kunst und Musik.