„Spice Girls der Alten Musik“

Das Blockflötenquartett Palisander gewinnt den 23. Biagio-Marini-Wettbewerb in Neuburg

08.08.2022 | Stand 22.09.2023, 7:04 Uhr

Neuburgs Kulturreferentin Gabriele Kaps fotografiert die Gewinnerinnen des Hauptpreises und des Publikumspreises, das Ensemble „Palisander“. Außerdem Andi Laukmanis, Vorsitzender des Fördervereins der Sommerakademie, sowie den ehemaligen Vorsitzenden Heinz Richter. Foto: Haberl

Von Heike Haberl

Neuburg – Die „Qual der Wahl“ gab es zwischen den sechs antretenden Ensembles beim 23. Biagio-Marini-Wettbewerb im Rahmen der Sommerakademie Neuburg. Alle Finalisten boten im prächtigen Kongregationssaal durchweg überzeugende, großartige Beiträge. Letztendlich aber entschied das Blockflöten-Quartett „Palisander“ den Abend eindeutig für sich und gewann sowohl den ersten Preis in Höhe von 2000 Euro als auch den mit 500 Euro dotierten Publikumspreis, der stets vom Förderverein der Sommerakademie überreicht wird.

Der Name der Siegerformation „Palisander“ leitet sich nicht umsonst vom gleichlautenden wertvollen Edelholz ab, aus dem womöglich auch einige ihrer vielen mitgebrachten Instrumente in allen Formen und Größen gemacht sind. Ebenso erlesen und originell sind allerdings auch das Zusammenspiel sowie die Performance der vier wunderbaren Musikerinnen aus London. So erstaunt es nicht, dass sie von der Presse als „Spice Girls der Alten Musik“ bezeichnet werden. „Beware the spider“ nennen sie ihr einzigartiges Programm, das sich der musikalischen Heilung von Spinnenbissen widmet.

Faszinierend ungewöhnlich beginnt schon der Einstieg. Mit einem selbstverfassten Gedicht von Miriam Monaghan, das die Flötistin eindrucksvoll rezitiert, während ihre Kolleginnen von draußen, vom Vorraum aus atmosphärisch ein durch den frühneuzeitlichen Universalgelehrten Athanasius Kircher aufgezeichnetes „Gegengift“ intonieren, bevor sie zu Tarquinio Merulas hochvirtuos präsentierter „La Lusignola“ die Bühne betreten.

Die gesamte Darbietung lebt von vielen ineinandergreifenden, perfekt inszenierten Komponenten: Von der im Flow schwingenden Interaktion der jungen Frauen, von den sich immer mehr steigernden, beschleunigenden und mitreißend umgesetzten folkloristischen Tarantella-Melodien, von den rhythmisch pulsierenden Schellenkränzen um die Fußgelenke, von den klug durchdachten, spannenden Zwischenmoderationen, von den tänzerischen Choreografien – und besonders von der äußerst raffinierten Eigeninterpretation eines Alptraums nach Vivaldis Konzert „La Notte“. Hier entfaltet sich ein Spuk-Szenario in all seinen Facetten, vom leisen, unheimlichen Erschaudern bis hin zur Rasanz in Höchstgeschwindigkeit. Grandios!

Den zweiten, mit 1000 Euro dotierten Preis errang das vielseitig agierende Streichertrio „Ayres Extemporae“ – das einzige Ensemble, das ein Werk des Wettbewerbsnamensgebers ins Programm aufnahm. Sein „Balletto primo“ musizieren die Künstler voll anmutiger Eleganz, in grazil vorwärtschreitendem Schweben. Geradezu bezaubernd intimen Charakter verleihen sie Andrea Falconieris „Melodia Suave“ durch charmant gezupfte, fast lautenhaft anmutende Pizzicato-Klänge des kleineren, mit fünf Saiten bespannten Cellos und durch den berührend gefühlvollen Ton der Violinistin, die das Publikum, zunächst am Bühnenrand sitzend, im empfindsamen Dialog mit dem zweiten Cello umso tiefer erreicht. Mit hervorragend feiner, intensiver Dichte wie auch mit energetischer Lebendigkeit lotet die Gruppe zwei Sätze einer Bach-Sonate aus: Beweise genug, über welch enorme Empfindungs-Flexibilität, über welch große imaginatorische Wandlungsfähigkeit die drei Musiker verfügen.

Ganz auf Kontraste zwischen Hell und Dunkel setzten die Multi-Instrumentalisten des international besetzten Ensembles „Tone:scape“. Orientalisch angehauchte, geheimnisvoll beschwörende Mystik kam bei ihnen ebenso zum Tragen wie luftige Eindringlichkeit oder temperamentvolles Feuer in Kompositionen von Giorgio Mainerio, Philipp Friedrich Böddecker und Antonio Vivaldi. Liebreizende Koketterie, lyrische Sehnsucht, schwungvolle Leichtigkeit und überbordende Freude versprühte die Formation „Le Sablier“ mit Sopran-Arien von Georg Friedrich Händel, Mr. Quignard und Johann Christoph Pepusch.

Verschiedenen Phänomenen aus der Natur- und Tierwelt verschrieb sich dagegen das Ensemble „Vinari“, das in ebenso quirliger wie ausdrucksstarker Geschmeidigkeit den Lauten, Eigenarten und Bewegungen von Kuckuck, Esel, Katze und Panther mit Kompositionen von John Baldwine, Johannes Ciconia oder aus dem Glogauer Liederbuch auf die Spur kam.

Und schließlich sorgte das Sextett „I Zeffirelli“ für frischen Wind in Form eines fiktiven Musiktheater-Pasticcios am Düsseldorfer Hof – die zweite Residenz, wo Marini unter Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm tätig war. Pompöse Furiosität und ein sensibler Klangsinn waren es, die diesen Schlussbeitrag, bestehend aus einer Ouvertüren-Suite von Johann Hugo von Wilderer sowie melancholisch-schwermütigen Bass-Arien von Agostino Steffani und ausgelassen-fröhlichen Auszügen aus einer Triosonate von Händel, besonders auszeichneten.

Ein fantastisches Wettbewerbskonzert, das einmal mehr zeigte, dass „Alte Musik“ keinesfalls altbacken wirken muss, sondern – unkonventionell aufbereitet und zeitgemäß interpretiert – sehr wohl modern und frisch daherkommen kann.

DK