Opern-Pioniere in Ingolstadt

Franz Hauk probt Simon Mayrs „Liebe kennt keine Hürden“ – Premiere am Sonntag im Ingolstädter Festsaal

08.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:54 Uhr

Franz Hauk ist Leiter des Ensembles Concerto de Bassus. Am Samstag dirigiert er die Oper „Liebe kennt keine Hürden“ in einer konzertanten Version im Ingolstädter Theaterfestsaal. Foto: Schaffer

Von Roland Dippel

Ingolstadt – Eine Frau und drei Männer. Das ist Anfang des 19. Jahrhunderts kein abgedroschenes Thema, sondern hat im damaligen Diskurs über Liebes- und Zweckheiraten eine gewisse Brisanz. Alle Kommunikationen waren damals noch physisch, sofern nicht die emotionalen und erotischen Annäherungen mit langen Briefkorrespondenzen in noch erregendere Länge gezogen wurden. Insofern ist „Amor non ha ritegno“ (Liebe kennt keine Hürden) auch für heute ein spannendes Stück. Am 11. September gelangt es im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt mit dem Simon-Mayr-Chor zur konzertanten Aufführung.

Heroisches und komisches Musikdrama

„Melodramma eroicomico“ - „heroisch-komisch“ – untertitelte der aus Mendorf stammende Johann Simon Mayr (1763–1845) seine halbernste Oper. Spätestens seit „Ginevra di Scozia“ (1801) war er der wichtigste italienische Opernkomponist. „Amor non ha ritegno“ ist in der Grundhaltung zutiefst menschlich: Donna Luigia, die Fürstin von Zamora, trauert um ihren verstorbenen Gatten. Drei standesgemäße Herren machen ihr den Hof. Aber nur Graf Alessandro hat eine echte Chance – nicht nur weil er Tenor ist und mit der sich lange gegen eine neue Partnerschaft sträubende Luigia auf gleicher Wellenlänge tickt. Die beiden anderen Galane – Don Fulsbergo und Cavaliere Moricone – sticht Mayr auch mit musikalischen Mitteln aus, wenn er deren Flucht vor einem Wildschwein mit einem musikalischen Kabinettstück düpiert.

Das Libretto von Francesco Marconi folgt nach Angabe des Mozart- und Mayr-Experten Ludwig Schiedermair (Beiträge zur Geschichte der Oper, 1907) Carlo Gozzi Lustspiel „La donna contrario al consiglio“, das Giuseppe Nicolini 1794 erstmals vertont hatte. Mayrs Oper gelangte 1804 an der Mailänder Scala zur Uraufführung, Vorstellungen folgten in Wien 1806 und in Turin 1813. Für das Originalklang-Ensemble Concerto de Bassus, dessen Konzertmeisterin Theona Gubba-Chkheidze und den Simon-Mayr-Chor ist die erste Aufführung von „Amore non ha retegno“ im 21. Jahrhundert nach der Missa solemnis D-Moll in Maria de Victoria im Juli das zweite große Mayr-Projekt dieses Jahres.

Eine Einspielung der Oper für Naxos folgt

„Markus Schäfer hat mich überredet“ sagt Franz Hauk, musikalischer Leiter und Tonträger-Weltrekordhalter in Sachen Mayr. Bei nur einer öffentlichen Vorstellung sind solche Projekte wegen der Abbruchrisiken in Pandemie-Zeiten ein Risiko. Orchester, Chor, Solisten werden durch Projektanträge finanziert. Alle Beteiligten haben die anspruchsvollen Partien nicht „drauf“, sondern erarbeiten diese mit beträchtlichem Zeitaufwand. Schäfer, der Tenor und Professor für Gesang an der Hochschule für Musik Theater und Medien Hannover, vermittelt die passenden Besetzungen. Hauk richtet das Aufführungsmaterial aus insgesamt drei erhaltenen Partituren ein. Die Fassungen aus Bibliotheken in Mailand und Wien erwiesen sich als lückenhaft, die Partitur aus Florenz kommt Mayrs Urfassung offenbar am nächsten. Ungefähr zwei Drittel der im Original dreistündigen Oper erklingen in der Ingolstädter Aufführung. Eine vollständige Einspielung entsteht parallel für das Label Naxos.

Für die Interpreten eine enorme Herausforderung

Die inzwischen imposante Reihe von Mayr-Aufnahmen aus Ingolstadt und Neuburg an der Donau mit Titeln wie „Elena“, „Die zwei Herzoginnen“ und „Alfredo il grande“ wird von internationalen Musiktheater-Foren und Magazinen mit großer Anerkennung beobachtet, zumal bei Festivals wie Martina Franca und Bergamo derzeit nur die bekanntesten Mayr-Opern „Medea in Corinto“ und „L'amor coniugale“ erklingen.

Für alle Interpreten bedeutet die Einstudierung einer Opernrarität wie „Amore non ha ritegno“ eine enorme Herausforderung. „Es gibt keine Vorbilder, weil die Werke lange Zeit nicht aufgeführt wurden“ sagt die Mezzo-Sopranistin Anna-Doris Capitelli, die als Italienerin auch an der Aussprache der Protagonisten arbeitet. Sie wirkte gerade beim renommierten Rossini-Festival in Pesaro mit und gastierte mehrfach im Jungen Ensemble an der Mailänder Scala. Was sind die spezifischen Anforderungen für eine Oper zwischen Mozart und Rossini vom Beginn des 19. Jahrhunderts? „Der Vokalsatz ist noch nicht so virtuos und expressiv wie bei Rossini und später. Dadurch hat man als Interpret einen größeren Freiraum, aber auch größere Verantwortung.“

Die zentrale Primadonnen-Partie der Donna Luigia singt am 11. September Yeree Su. Die von führenden Alte-Musik-Spezialisten wie Philippe Herreweghe und Ton Koopman verpflichtete Sängerin ist regelmäßig Gast bei den Salzburger Festspielen und weiteren internationalen Festivals. Der von Kulturreferent Gabriel Engert zum Jubiläum 550 Jahre Landesuniversität Ingolstadt initiierte Beitrag eines großen Werks mit Regionalbezug verspricht ein Belcanto-Fest von internationaler Wirkung.

Festsaal des Stadttheater Ingolstadt – 11. September 2022, 19.00 Uhr – Simon-Mayr-Chor & Ensemble e.V. – Amor non ha ritegno – Karten bei den bekannten Vorverkaufsstellen und online: 50 € (regulär), 45 € (Rentner, Schwerbehinderte), 15 € (Studierende), 5 € (Schüler ab 16 Jahren), Kinder bis 15 Jahren erhalten in Begleitung eines Erwachsenen ein kostenloses Ticket.