Kritik zum Sonntagskrimi
Neue Ermittlerin beim Rostocker „Polizeiruf“: Operation am offenen Krimiherzen

Der Sonntagskrimi: Charly Hübner wird im Rostocker „Polizeiruf“ durch die Frau des Schauspielers ersetzt

24.04.2022 | Stand 23.09.2023, 1:49 Uhr

Eine Mutter wird erstochen aufgefunden, ihr Sohn ist ebenfalls tot. Max, Pflegesohn einer befreundeten Familie, ist nach dem Mord abgehauen und gilt deshalb als verdächtig. Foto: NDR/Christine Schroeder

Von Roland Holzapfel

Kann der Rostocker „Polizeiruf 110“ nach dem Abgang des übermächtigen Hauptdarstellers Charly Hübner an bisherige Glanzzeiten anknüpfen? Der erste Fall ohne den von Hübner gespielten Sascha Bukow mutet an wie eine Operation am offenen Krimiherzen.

Vorläufiger Befund: Die Aussichten des Patienten sind kritisch, aber nicht hoffnungslos. Sehr sinnig ist jedenfalls der Filmtitel: „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“. Zum einen dreht sich ein Großteil der Story um die heiklen Befindlichkeiten einer Familie mit zwei Pflegekindern, zum anderen kommt als potenzielle Nachfolgerin des ins Ausland geflüchteten Bukow ausgerechnet seine Halbschwester Melly ins Spiel. Im wahren Leben heißt sie Lina Beckmann, ist eine gefeierte Theaterschauspielerin und verheiratet. Mit wem? Mit Charly Hübner. Alles Familiensache, fiktiv wie real.



Die aus Bochum angereiste Kommissarin Melly Böwe ist in Rostock erstmal nicht sonderlich willkommen, da sie dort LKA-Ermittlerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau), die noch dem Ex-Kollegen und -Verlobten Bukow hinterhertrauert, bei der Aufklärung eines Mordfalls ins Handwerk pfuscht. Eine alleinerziehende Mutter wurde in der heimischen Küche brutal erstochen; ihr gelähmter Sohn starb nebenan im Krankenbett an einem Schlaganfall, weil niemand mehr seine Infusion wechselte. Gut befreundet waren die beiden mit dem Ehepaar Genth und dessen Pflegekindern Emma und Max (Alessandro Schuster). Letzterer ist als Drogenkonsument bekannt, urplötzlich verschwunden und somit ziemlich verdächtig.

Drehbuch mit Konfliktpotenzial



Doch jemand hält die schützende Hand über ihn: Melly Böwe. Sie hat Max vor Jahren im Zeugenschutzprogramm bei den Genths untergebracht. Also Finger weg von dem Burschen! Das wird Katrin König von ihrem Vorgesetzten (Uwe Preuss) unmissverständlich klar gemacht. Damit hat das Drehbuch Konfliktpotenzial en masse produziert für einen ordentlichen Zickenkrieg zwischen den weiblichen Hauptfiguren. Wie unterschiedlich sie doch sind, erfahren wir zudem sehr früh abseits der Krimihandlung: Während die liebevolle Mutter Melly mit ihrer jugendlichen Tochter appetitliche Muffins backt, versucht die verlassene Katrin Seelenruhe beim Kneten eines geduldigen Sauerteigs zu finden – was ihre Geduld heillos überfordert.

Zum Glück werden die Charaktere des neuen Duos nur zu Beginn derart holzhammerartig gegenübergestellt. Und auch die unvermeidlich scheinende Kriegserklärung bleibt aus, als beide erkennen, dass jede für sich professionell gute Arbeit macht. Es gibt also ein Leben nach Sascha Bukow; ob es auf Dauer sehenswert ist, bleibt nach diesen 90 Minuten offen.


Sonntag, 24.4., ARD, 20.15 Uhr