Musikalische Ehegespräche

Magdalena Kožená und Simon Rattle präsentieren einen ungewöhnlichen Liederabend

08.07.2022 | Stand 22.09.2023, 21:25 Uhr

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Es ist das Außergewöhnliche, das diesen Liederabend zu einem Ereignis des Audi-Sommerkonzerte macht. Denn die Lieder, die an diesem Abend geboten wurden, werden selbst Klassikkenner eher selten live auf der Bühne erleben können – und schon gar nicht von solchen Künstlern dargeboten. Denn auf dem Programm standen fast durchweg Lieder für Gesangsstimme und kammermusikalisches Ensemble. Liederabende hingegen konzentrieren sich in der Regel auf die Standardbesetzung mit einem einzelnen Klavierbegleiter.

Ein Pianist war indessen auch an diesem Abend anwesend: Simon Rattle, den man natürlich weit häufiger vor einem Orchester als vor einem Klavier erleben kann.

Eine Überraschung dieser ungewöhnlichen Formationen ist, was für vorzügliche Werke die Künstler ausgraben konnten: Tragödien, Wahnsinnslieder, Humoristisches und Naturverbundenes. Und für alles fand die Mezzosopranistin Magdalena Kožená die richtigen stimmlichen und musikalischen Mittel.

Vielleicht ist es ja ein Zufall, aber tatsächlich trat Ophelia aus „Hamlet“ mit ihren irrsinnigen Monologen gleich zweimal an dem Abend auf und gab ihm damit einen gewissen thematischen Schwerpunkt: vertont von Johannes Brahms und von Richard Strauss. Wobei letzterer aus den Shakespeare-Texten eher eine Art Oper mit kleineren Dimensionen machte, dabei durchaus die Verzweiflung spürbar machte. Während bei Brahms das Unglück eher in milder Melancholie spürbar wurde – in leicht wiegender Rhythmik. Aufgeführt wurde eine Fassung mit Streichquartett-Begleitung des zeitgenössischen Komponisten Aribert Reimann, der den Klang der Lieder noch weicher, noch strömender und trauriger machte.

Wie wunderbar Magdalena Kožená singen kann, wurde vielleicht am deutlichsten beim französischen Repertoire. Sie eröffnete den Abend mit „Chanson perpétuelle“ für Singstimme, Klavier und Streichquartett von Ernest Chausson. In diesem vertonten Abschiedsschmerz klang der silbrige Mezzo von Kožená unfassbar schön, warm timbriert, leidenschaftlich und dabei immer im höchsten Maße flexibel. Kaum weniger faszinierend die strömenden Klänge bei Maurice Ravels „Chanson madécasses“ für die wirklich ungewöhnliche Begleitung von Flöte, Cello und Klavier. Gerade hier zeigte Kožená allerdings auch, was für eine opernhafte Fülle sie erzeugen kann, wenn wie ein Aufschrei das zweite Lied beginnt. In dem Lied wird eine exotische, kolonisationskritische Perspektive eingenommen, wobei Ravel auf diese fremdartige Welt mit einer ganz eigenen, reduzierten Tonsprache reagiert. Ein kleiner Höhepunkt des Abends.

Aber am besten gelangen vielleicht doch die Lieder, die Magdalena Kožená in ihrer eigenen Sprache singen konnte: die kecken, kindlichen, leicht absurden „Ríkadla“ von Leoš Janáček – begleitet von Klarinette und Klavier. Oder „Duncan Ward“ von Antonín Dvorak – das, was man früher Zigeunermusik nannte. Trunken machende, romantische Melodien, diesmal begleitet von dem gesamten Kammerensemble des Abends – dem Streichquartett, Klavier, Flöte und Klarinette.

Ein ungewöhnlicher und ein ungewöhnlich gelungener Liederabend, den das wunderbare Musikerehepaar Kožená/Rattle sich da ausgedacht hat – eines der Traumpaare der klassischen Musik. Das Publikum im nicht allzu gut besuchten Ingolstädter Festsaal spendete Beifall mit seltener Begeisterung – was vielleicht auch daran lag, dass fast das gesamte International Symphony Orchestra aus der Ukraine anwesend war sowie einige auswärtige Fans der Musiker.

DK