Ein Mann mit einer Aktentasche auf dem Kopf – auf dem Münchner Königsplatz, im Museum vor den Gemälden bayerischer Könige, beim Einkaufen, im Englischen Garten, vor dem Atommeiler in Ohu. Der Mann auf dem Schwarz-Weiß-Foto ist Christian Springer. Fotografiert hat ihn Albert Kapfhammer. Beide sind am Dienstagvormittag in Ingolstadt, um ihre Ausstellung vorzustellen, die vom 3. Februar bis 30. April im Stadtmuseum zu sehen sein wird. „Eine bomben Aussicht“ heißt sie. Und ist eine künstlerische Reaktion auf den Krieg. Den, den Putin gerade mit der Ukraine führt. „Wir hatten die Idee für eine Antikriegsausstellung mit dem Verweis auf die jetzige atomare Bedrohung, aber wir meinen alle Kriege damit. Seit ,333 Issos Keilerei‘. Heute können mehr Menschen in weniger Sekunden vernichtet werden, aber das individuelle Leid und das bleibende Leid über Generationen, ist ja immer gleich.“
Broschüre als Ideengeber: „Jeder hat eine Chance“
Tatsächlich stammt die Empfehlung, sich mit einer Aktentasche vor dem nuklearen Inferno zu schützen, aus der Broschüre „Jeder hat eine Chance“, die das Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz im November 1961 herausgab und an alle Haushalte verteilen ließ, erzählt Christian Springer und zitiert weiter daraus: „Wenn Sie die Atombombe kommen sehen, bitte mit dem Auto rechts ranfahren und Motor ausschalten. Oder: Stellen Sie Bücher innen aufs Fensterbrett, um die atomare Strahlung abzuhalten.“ Er grinst: „Das ist absurd. Der einzige Weg, einen Atomkrieg zu überleben, ist, keinen Atomkrieg zu haben.“ Aber er nutzte die Aktentasche für einen satirischen Kommentar zum Zeitgeschehen.
Wer Christian Springer kennt, weiß, dass er 15 Jahre lange als Kunstfigur Fonsi durch die Kleinkunstszene marschiert ist. Fonsi war Kassenwart von Schloss Neuschwanstein und zu seinen Markenzeichen zählte auch eine Aktentasche. Genau diese Aktentasche kommt jetzt in der Foto-Strecke zum Einsatz. Wie das riecht, wenn man sie über den Kopf stülpt? „In dieser Aktentasche war schon einiges drin. Ich war ja auch fürs Fernsehen auf der Wiesn. Da war schon ein unverpacktes halbes Hendl drin, da ist schon eine Maß Bier reingeschüttet worden. Zuckerwatte. Unterlagen. Aber wir haben sie desinfiziert. Sie riecht nicht mehr“, verrät der Kabarettist.
Natürlich haben Springer und Kapfhammer eine Liste mit Motiven, Orten, Situationen erstellt. Darauf stand beispielsweise der Luther-Spruch: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ „So sieht man mich mit der Aktentasche, mit diesem Schutz vor dem atomaren Krieg, ein Apfelbäumchen in einer Gärtnerei einkaufen“, erklärt Springer. „Mindestens die Hälfte der Fotos ist aber dann entstanden, als wir die Fotos machen wollten und dann eine ganz andere Idee bekamen.“ Beim Foto-Shooting gab es noch eine weitere Erkenntnis: „Man verliert unter der Aktentasche die Sinne. Du siehst nichts mehr, riechst nichts mehr, hörst nur noch ganz dumpf, deine eigene Stimme wird unter der Aktentasche anders. Dann dachte ich mir: Wir verlieren unsere Sinne oder benützen sie nicht mehr. Wir schauen und hören nicht mehr so genau hin, wie wir sollten. Das Erlebnis mit der Aktentasche ist auch ein Spiegelbild für unsere Zeit.“
Selfie-Station mit Aktentasche im Museum
Seit die Ausstellung im Juli 2023 in Beirut gezeigt wurde, hat sie schon viele Stationen hinter sich gebracht: Garching, München, Regensburg etwa. „Als wir in Burghausen die Ausstellung abgehängt haben, kam eine Frau und sagte: ,Sie sind der Herr Springer, oder? Ich wäre gern wie Sie. Wie der auf dem Bild. Mit der Aktentasche auf dem Kopf. Ich wär dann nicht mehr so angreifbar.‘ Da ist mir erst bewusst geworden, wie unser Kopf in Sekundenschnelle vom Gegenüber eingeordnet wird. Und die Aktentasche verhindert das. Die Leute sehen diese Ausstellung also mit ganz unterschiedlichen Augen. Das macht uns sehr glücklich.“
Für die Schau in Ingolstadt ist auch ein Begleitprogramm geplant, informierten Sabine Rottmann und Christina Nickl vom Zentrum Stadtgeschichte. So soll es neben Führungen für Schulklassen mit Christian Springer und Albert Kapfhammer diverse interaktive Elemente geben: etwa ein Suchspiel für Familien – oder eine Selfie-Station mit Aktentasche.
DK
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