Liebe mit Hindernissen

Psychologische Primadonnen-Oper: Franz Hauk dirigiert „Amor non ha ritegno“ von Simon Mayr

12.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:45 Uhr

Spannungsgeladene Momente: Franz Hauk dirigiert im Ingolstädter Festsaal das Concerto de Bassus. Foto: Weinretter

Von Roland H. Dippel

Ingolstadt – Mehrere Momente mit der sprichwörtlich hörbar fallenden Stecknadel gab es im Ingolstädter Festsaal. Einmal, als die koreanische Sopranistin Yeree Suh mit der Konzertmeisterin Theona Gubba-Chkeidze und dem Gitarristen Silas Bischoff eine jener wunderschönen Romanzen anstimmte, wie man sie fast nur im Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert findet. Auch das Duett Yeree Suhs mit dem Tenor Markus Schäfer war ein verspielter und deshalb inniger Höhepunkt in der allerersten Aufführung des heroisch-komischen (Opern-)Dramas „Liebe kennt keine Hürden“ seit fast 200 Jahren. Komponiert hatte es Johann Simon Mayr, der bis 1815 wichtigste Opernkomponist Italiens und Student an der Universität Ingolstadt, unter dem italienischen Titel „Amor non ha ritegno“. In der langen Reihe der von Franz Hauk entdeckten und von Markus Schäfer gecasteten Entdeckungen und Weltersteinspielungen ist diese Mayr-Trouvaille ein neuer Höhepunkt.

Bei der konzertanten Aufführung im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt am Sonntagabend erklangen leider nur zwei Drittel. „Die nächste schöne Sopran-Arie überspringen wir. Diese werden Sie auf der gerade entstehenden Komplettaufnahme hören können“, lockt Frederik Frank als Conférencier zu den Begebenheiten auf einem spanischen Schloss. Er ist auch eine der acht Männerstimmen des prächtig akzentuierenden Simon-Mayr-Chors. Die Partitur erfordert sieben Belcanto-erfahrene Gesangssolisten für die Partien von drei Paaren mit Happy End und einen Kontaktberater. Concerto de Bassus spielte auf originalen Instrumenten unter Leitung des den Cembalopart für die Rezitative übernehmenden Franz Hauk. Die Veranstalter widmeten ihre Entdeckung der am 20. September 2021 verstorbenen Baronin Margarete de Bassus. Sie hatte über Jahrzehnte Mayr-Projekte in Ingolstadt und im Schloss Sandersdorf gefördert, zum Beispiel die Aufführung der komischen Oper „Che originali!“.

„Amor non ha ritegno“ gehört zum halbernsten Operngenre, das durch die darin mögliche Vielfalt von Rollenmustern und Situationen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zukunftsweisend wurde. Nichts Menschliches war der Opera semiseria von Mozarts „Don Giovanni“ bis Donizetti fremd. Vor allem die psychologische Figurenzeichnung wurde präziser und dichter. So auch hier: Es dauert etwas, bis sich Prinzessin Luigia von Zamora von der Trauer um ihren toten Gatten in einen neuen Herzensbund mit Graf Alessandro begibt. Grobe Tricks, falsche Personenangaben, jede Menge Philosophie und eine Jagd mit chaotischen Störfällen müssen herhalten, bis das Paar endlich zueinanderfindet. In seiner 1804 an der Mailänder Scala uraufgeführten Oper komponierte Mayr das mit delikaten Melodien. Einmal mehr ist Mayrs Instrumentation filigran und erstaunlich. Um Yeree Suh, die in der führenden Primadonnen-Partie der Luigia den Großteil der Aufmerksamkeit auf sich zieht, sind auch alle anderen Interpreten musikalisch reich bedacht. Jede Stimme erhält ihren großen Auftritt. Philipp Polhardt als Beziehungsdrahtzieher Giannetto klingt fast wie ein italienischer „Zauberflöten“-Papageno. Anna-Doris Capitelli zeigt mit vokaler Eloquenz, dass sie alle Lernangebote der Accademia der Mailänder Scala perfekt zu nutzen weiß. Als Konkurrenz bei der Balz um die spröde Prinzessin hat es Graf Alessandro bei den Bässen Daniel Ochoa (Don Morione) und Niklas Mallmann (Don Fulsibergo) nicht mit toxischen Polterbaronen zu tun, sondern – gemessen an der sängerischen Potenz – mit ernstzunehmenden Gegnern. Schön ist auch bei Markus Schäfer und Anna Feih als Laurina, wie sie die Feinheiten von Mayrs Tonsprache beherzigen.

Durch die Kürzungen gab es mehrere Stopps. Diese Pausen zwischen den Szenen bremsten den Elan stellenweise etwas. Franz Hauk tendiert zu langsameren Tempi. Das könnte riskant sein, wird aber vom Concerto de Bassus mit warmen Farben und einer Transparenz mit aparten Details abgefedert. Am Ende gewährte das Publikum langen beglückten Beifall, nachdem es am Szeneapplaus gespart hatte. Das lag nicht am Ensemble, sondern am Komponisten. Denn Mayr ist im Gegensatz zu den Effektjägern der nächsten Generation noch spätes 18. Jahrhundert. Seine Musiknummern verklingen, und oft weiß man nicht, ob sie gleich ins nächste Rezitativ münden oder nicht doch noch eine Coda kommt.

Wie im Duett Luigias mit Alessandro beim entscheidenden Wendepunkt von der Abfuhr zur Liebe. Bei Mayr, Yeree Suh und Markus Schäfer ist das keine grobe Anmache, sondern zartes Einvernehmen aus edlen, weil leisen und reinen Tönen.

DK