Ingolstadt
"Mein Buch soll ein Weckruf sein"

Jörg Schindler kommt mit "Stadt, Land, Überfluss" am 18. November in das DK-Forum Ingolstadt

14.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:59 Uhr
Jörg Schindler −Foto: Frankfurter Buchmesse

Ingolstadt (DK) Jörg Schindler kommt mit "Stadt, Land, Überfluss" am 18. November in das DK-Forum Ingolstadt. Über sein Buch sprach er mit uns in einem Interview.

Herr Schindler, Sie listen zehn Fehlentwicklungen des westlichen Lebensstils auf. Wie krank ist unsere Gesellschaft?

Jörg Schindler: Ich würde nicht unbedingt von Krankheit reden. Das geht mir zu weit. Ich würde sagen, wir sind offensichtlich auf dem Holzweg. Die zehn Bereiche, die ich ausgesucht habe, sind nur ein kleiner Ausschnitt daraus, dass wir einer verheerenden „Immerhöher-, Immerweiter-, Immerschneller-Logik“ folgen. Das Problem dabei ist, dass wir nicht nur der Umwelt schaden, sondern dass wir uns alle selbst damit schaden. Wir rennen kollektiv in einen Zustand der chronischen Überforderung. Vor lauter Hetze kommen wir nicht mehr dazu zu überlegen, ob wir das tatsächlich wollen.

 

Bereits in den 70ern Jahren warnte der Club of Rome in seiner Studie „Die Grenzen des Wachstums“ vor diesem „Immermehr, Immerweiter, Immerschneller“. Glauben Sie an Veränderung?

Schindler: Ich hoffe, dass sich noch etwas ändert. Dieses Buch war der Versuch, so etwas wie einen Weckruf loszuwerden im Rahmen meiner Möglichkeiten. Ich habe aber schon das ganz starke Gefühl, dass, wenn wir so weitermachen, wir in eine Sackgasse geraten, aus der heraus der Weg sehr lang und schwierig sein wird.

 

Dazu geben Sie positive Einzelbeispiele. Was muss geschehen, damit daraus eine Bewegung wird?

Schindler: Ja, es sind Einzelbeispiele. Doch glaube ich an die Macht von Vorbildern. Mein Eindruck ist der, dass ganz viele Menschen das Gefühl von Überforderung, von Ausgeliefertsein, von Hamsterrad teilen. Sie sagen aber: „Was kann man da schon tun? So ist halt das System. Ich muss ja Geld verdienen, muss dieses und jenes tun.“ Ich hoffe also, dass die Beispiele, die ich gewählt habe, zeigen, dass es auch anders geht. Und zwar nicht – und das ist das Entscheidende für mich gewesen –, indem man komplett aussteigt, Systemverweigerer wird, in den Wald zieht und nur noch von Pilzen und Kräutern lebt, sondern dass man Teil der Gesellschaft bleibt, und trotzdem sich dieser „Immerhöher-, Immerweiter-Logik“ entzieht.

 

Was war der Auslöser für das Buch? Die Begegnung mit diesen Menschen?

Schindler: Um ehrlich zu sein, habe ich es zuerst an mir und meinem Alltag als Journalist festgestellt, dass mir immer weniger Zeit bleibt, um die Themen, die ich bearbeite, tief zu durchdringen und entsprechend für meine Leser aufzubereiten. Kaum war das eine Thema intensiv bearbeitet, war schon wieder der nächste Skandal da. Ich hatte den Eindruck, dass ich wie ein gehetztes Tier durch meinen Berufsalltag laufe.

 

Die Hektik liegt aber vielleicht nur an Ihrem Journalistenberuf.

Schindler: Ich habe für mein Thema viel gelesen und sehr viele Gespräche im Freundeskreis, mit Menschen in anderen Berufen, mit Medizinern, aus den Pflegeberufen, Künstlern, einer Chemikerin usw. geführt, wirklich mit Menschen aus vielen gängigen Berufen gesprochen. Ich habe dabei festgestellt: Es geht allen so. Alle erzählten, dass sie total am Anschlag seien, immer weniger Zeit vorhanden sei. Das war der Anlass nachzufragen, warum das so ist.

 

Sie wollten zusammenfassen, wo es in die falsche Richtung geht?

Schindler: Ja. Allerdings wollte ich nicht nur 300 Seiten lang eine Systemkritik schreiben, sondern ich wollte eine Art optimistischen Blick auf die Dinge werfen. Ich habe mich gezielt auf die Suche nach Menschen gemacht, die dieser Logik nicht mehr folgen, und denen es einfach besser geht, seitdem sie es nicht mehr tun.

 

Und haben mit dem Buchprojekt noch einmal an der Stellschraube des eigenen Hamsterrades gedreht, oder?

Schindler: Ja. Es ist ehrlich gesagt das größte Paradox, dass ich ein Buch über Entschleunigung nur schreiben konnte, indem ich selbst in der Kurve noch mal beschleunigt habe. Was offen gestanden total widersinnig ist. Andererseits war mir das Thema so wichtig, dass ich gesagt habe, das muss ich machen. Ich habe mich neu organisiert, sodass es geklappt hat. Aber zur Nachahmung empfehle ich es nicht.

 

Sie kritisieren die Autoindustrie. Sind Premium-Fahrzeuge keine Verlockung für Sie?

Schindler: Ich will mich hier nicht als Heiligen darstellen, aber klare Antwort: Nein. Vielleicht ist es mein Glück, dass ich kein materialistischer Mensch bin. Wenn wir bei Autos sind: Ich fahre einen 18 Jahre alten Kleinwagen, der weniger als fünf Liter verbraucht. Den werde ich weiterfahren, bis er mir unter dem Hintern wegrostet. Also mit Geld, mit teuren Reisen oder Luxusgütern kann man mich nicht ködern.

 

Sie nennen Papst Franziskus als gutes Beispiel dafür, dass man eingefahrene Wege verlassen kann. Welche anderen Entscheidungsträger müssten noch wirksame Impulse geben?

Schindler: Ich glaube nicht an die große Macht von sogenannten Leadern, die uns durch die Wüste ans Meer führen. Ich glaube, dass jeder Einzelne sich selbst am Schopf packen muss. Es macht keiner etwas für uns. Wir müssen es selbst tun.

 

Haben Sie die Entschleunigung selbst angepackt? Wie schwierig ist es?

Schindler: Es ist schwierig, etwas zu ändern. Ich bin auch noch in einem Prozess. Tatsächlich hat mich dieses Buch aber stärker beeinflusst als mein erstes („Die Rüpel-Republik. Warum sind wir so unsozial“). Ich denke jetzt intensiver darüber nach: Will ich das alles noch? Will ich meinen Alltag so weiterführen? Ich habe schon kleine Dinge geändert, die größeren Blöcke gehe ich langsam an.

 

Veränderung geht nur in kleinen Schritten?

Schindler: Ja, die Vorstellung, man könne Belastendes auf einmal abwerfen, die Fesseln sprengen, um dann als freier Mensch dazustehen, ist verlockend, aber falsch. Man muss im Kleinen anfangen. Wenn man das tut, kommt in der Summe eine Menge zusammen.

 

Sie haben Hoffnung, dass sich etwas ändern kann?

Schindler: Zumindest 50 zu 50.

 

Das Gespräch führte

Barbara Fröhlich.