Ingolstadt
Tödlicher Sturz aus dem Olymp

"LeseLust": Evi Simeoni beleuchtet in ihrem Romandebüt "Schlagmann" die Schattenseiten des Hochleistungssports

22.11.2012 | Stand 03.12.2020, 0:48 Uhr

Wie viel Fakt steckt in der Fiktion? Autorin Evi Simeoni im Gespräch mit DK-Chefredakteur Gerd Schneider - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Es ist die meistgestellte Frage bei ihren Lesungen: Wie viel Fakt verbirgt sich denn in der Fiktion? Evi Simeoni lächelt. Sie ist darauf vorbereitet. Wer einen Roman schreibt, der auf einen realen Hintergrund zurückgeht, wird zwangsläufig mit dieser Frage konfrontiert. In ihrem Debüt „Schlagmann“ greift sie das Schicksal des magersüchtigen Ruderers Bahne Rabe auf, der sich trotz seiner Erfolge – Gold mit dem Deutschlandachter bei den olympischen Spielen 1988 in Seoul, Weltmeister im Vierer 1991 mit Weltbestzeit – selbst vom Sportolymp stürzte, sich zu Tode quälte, zu Tode hungerte.

Wie viel Bahne Rabe steckt in Arne Hansen, dem Protagonisten von Evi Simeonis Roman? Wie viel Fakt verbirgt sich in der Fiktion? Die Frage kommt natürlich auch bei Evi Simeonis Auftritt im Rahmen der Reihe „LeseLust“ im DK-Forum am Mittwochabend. Aber ausgerechnet diese Frage muss die Autorin immer wieder anders beantworten. „Und das nicht etwa, weil mich meine eigenen Antworten langweilen.“ Ging sie am Anfang noch davon aus, dass sie gerade mal ein paar Eckdaten, etwa zehn bis 15 Prozent Realität in ihren Roman eingeschrieben hatte, wird sie nun immer wieder davon überrascht, wie viel von dem, was sie selbst für Fiktion hielt, sich als wahr, als erinnert, als präzise analysiert herausstellt.


Wie kürzlich bei ihrer Lesung in Wiesbaden, als sich im Publikum eine Frau zu erkennen gab, die vier Jahre lang Bahne Rabes Freundin war, die nach Evi Simeonis Quellen fragte, sich über ihre Detailkenntnis wunderte und vermeintliche „Fehler“ anprangerte. Nein, Bahne habe nicht Musik der Grunge-Band Nirvana gehört, wie Evi Simeoni das Arne Hansen tun lässt, sondern den Psychedelic-Rock der Sisters of Mercy. „In solchen Fällen schwanke ich dann zwischen einem totalen Glücksgefühl, dass ich der Realität so nahegekommen bin, und Schuldgefühlen, dass ich unabsichtlich einen wunden Punkt getroffen habe.“

Die Diskussionen zeigen: Das Thema lässt keinen kalt. Es berührt, ja erschüttert die Zuhörer, die Leser. Im DK-Forum ist es sehr still. Es ist eine intensive, spannungsgeladene Stille. Evi Simeoni beleuchtet die Fallhöhe eines deutschen Helden, beschreibt präzise und mit großem Einfühlungsvermögen die Faszination des Sports, die Schönheit eines durchtrainierten Körpers, den unbedingten Leistungswillen, den Erfolg, der von Bewunderung und Jubel begleitet und von Medaillen gekrönt wird, aber sie verhandelt auch die Schattenseiten des Systems, die den Menschen zur Maschine degradiert, zum bloßen Funktionieren zwingt, ihm die Menschlichkeit austreibt, unlautere Mittel wie Doping forciert.

Im Zentrum des Romans aber steht dieser Sportler, in dessen gesundem Körper eine kranke Seele wohnt. Der sich selbst zugrunde richtet – mit der gleichen Kraft, mit der er seine Wettkämpfe austrägt, für sie trainiert. Und es geht um die Frage von Schuld und Verantwortung. Hätte sein Umfeld helfen können? Hätte es überhaupt Anzeichen erkennen und deuten können? Und muss man den Hochleistungssport nicht überhaupt mit anderen Augen sehen? Differenzierter? Ehrlicher? Wacher? Kritischer?

Evi Simeoni, seit über 30 Jahren Sportredakteurin bei der „FAZ“, weiß, wovon sie spricht. Weil sie in Frankfurt auch elf Jahre lang mit DK-Chefredakteur Gerd Schneider zusammengearbeitet hat, hatten sich beide entschlossen, aus der Lesung ein Gespräch zu machen. Und so stellt die Autorin nicht nur ihren Roman in vier Ausschnitten vor, es entwickelt sich auch ein spannender Gedankenaustausch über die Hintergründe des Schreibens, die Struktur des Romans (der aus drei Perspektiven auf den Protagonisten blickt), den Hochleistungssport im Allgemeinen, Bahne Rabe im Besonderen, den Evi Simeoni lange Zeit beruflich begleitet hat („Er war so stark, so überlegen. Alle, die ihn gekannt haben, dachten: Dem kann es nur gutgehen.“), psychologische Befunde, Magersucht, Grenzüberschreitungen und die eigene Wahrnehmung. „Die intensive Arbeit an diesem Buch hat mich selbst stark verändert“, sagt Evi Simeoni. Das Kapitel Bahne Rabe scheint noch nicht abgeschlossen, auch wenn die Autorin bereits an ihrem zweiten Buch arbeitet – einer Familiengeschichte.

 

Den letzten Termin der „LeseLust“-Reihe bestreitet David Safier am Freitag, 30. November, um 19.30 Uhr. Karten dafür gibt es in allen DK-Geschäftsstellen und unter der Tickethotline (08 41) 9 66 68 00.