Königliche Koloraturen

Weltersteinspielung von Simon Mayrs Oper „Alfredo il grande“ aus Neuburg an der Donau

25.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:24 Uhr
Roland Dippel

Mit vorzüglichen Sängern spielte Franz Hauk „Alfredo il Grande“ für Naxos ein. Foto: Naxos

Von Roland H. Dippel

Simon Mayr (1763–1845) war mit fast 50 im Zenit seiner Karriere als Komponist für die großen Opernhäuser in Venedig, Mailand, Turin, Neapel. Nach 1810 sah er sich aber konfrontiert mit zwei um fast dreißig Jahre jüngere aufstrebende Konkurrenten: Gioachino Rossini überflügelte Mayr in nur wenigen Jahren, Giacomo Meyerbeer kam wie Mayr aus dem deutschen Sprachraum auf die Apenninenhalbinsel und erwarb sich dort die Sporen für seiner Karriere als wichtigster Opernkomponist des mittleren 19. Jahrhunderts.

In der Wissenschaft sind die gegenseitigen Beeinflussungen, das Kreativitätspingpong und die Parallelen in den Sujets der drei genialen Konkurrenten gut erschlossen. Durch Aufführungen und Einspielungen kommt seit einigen Jahrzehnten ein Opernjuwel nach dem anderen ans Licht – zur Freude aller Musiktheater-Enthusiasten. Simon Mayr mischte kräftig mit beim Übergang vom barocken in ein zunehmend romantisches Verständnis von Musiktheater.

So gibt es mehr als eine Analogie zwischen Mayrs am 26. Dezember 1819 in Bergamo uraufgeführter Opera seria „Alfredo il Grande“ auf das Textbuch des späteren Scala-Impresarios Bartolomeo Merelli und Rossinis nur zwei Monate früher in Neapel erklungener „La donna del lago“ (Die Frau vom See): Der Schauplatz Britannien, die vom Hymnen zu Marschgesängen springenden Chöre und die balladenartige Kanzonen, mit denen Liebende ihre Emotionen bekennen oder verschleiern.

Musiknummern in Mayrs Opern haben seit „Medea in Corinto“ (1813) längst ähnliche Riesendimensionen wie bei Rossini. Auch Marys Orchestersatz hat sich im Vergleich mit seinen früheren ernsten Opern wie der gerühmten „Ginevra di Scozia“ und „I Cherusci“ zu noch größerer Farbigkeit und dramatischer Gestik verdichtet. Die konzertierenden Instrumentalsoli werden dagegen weniger. Mayr setzte bewusstere Zäsuren und reagierte nach 1810 in seiner Instrumentation im Orchester deutlicher auf Handlungsimpulse.

Erstaunlich ist auch der stilbewusste Dirigenten-Stabhochsprung, den Franz Hauk mit dem Simon Mayr Chorus, deren Verstärkung aus dem Chor der Bayerischen Staatsoper München und dem Originalklang-Ensemble Concerto de Bassus im Vergleich zu seinen letzten Einspielungen – Mayrs „Le due duchesse“ und „Elena“ – unternimmt. Hauk gelangt in der im August 2019 um die konzertante Aufführung im Kongregationssaal Neuburg an der Donau entstandenen Einspielung von einer berückenden Stelle zur nächsten und findet im riesigen Finale des ersten Aufzuges zu sehr plastischen Steigerungen. Hauk setzt Mayrs Oper damit ins beste Licht. Er macht über weite Stellen hörbar, wie Mayr sich als Angehöriger der Mozart-Generation betreffend musikdramatische Sogkraft bemühte, um bei den Tempo-Parforcetouren Rossinis und beim dramatischen Nachdruck der italienischen Opern Giacomo Meyerbeers mitzuhalten.

Für die Aufführungen von „Alfredo il Grande“ in Bergamo, Mailand (1820) und London (1831) hatte Mayr eine bewunderte Interpretin in der Titelpartie: Rosa Mariani sang auch Isaura in Meyerbeers „Margherita d’Anjou“ (Mailand 1820) und Arsace in Rossinis „Semiramide“ (Venedig 1823). Ein durchschlagender Contralto oder 'Musico' ist ihre Nachfolgerin Marie-Luise Dreßen in der verkleidet als Elfrido auftretenden Titelpartie nicht. Eher gibt Dreßen mit fast hellem, bruchlosen Material einen sehr sensiblen König, der bei den Kämpfen gegen die Dänen lieber innerhalb seiner Garde marschiert als an deren Spitze. Den Ensembles und vor allem den Duetten mit der geliebten und ihrerseits sehr hellstimmigen Anna Feith als Alinda kommt das zugute. Die beiden Stimmen harmonieren in den Ensembles bestens. Den Löwenanteil des Agierens und Reagierens leistet dabei Marie-Luise Dreßen und nutzt ihre Bellini-Erfahrungen. Ihr Monarch ist sogar in Extremsituationen ein elegischer Schwärmer. Weil auch Markus Schäfer als von Alinda ungeliebter Gutrumo seine Heiratsfelle davonschwimmen sieht und trotzdem kein mit der Koloraturen-Keule drohender Tenor-Schurke à la Rossini wird, gerät die Weltersteinspielung zu einem Gipfeltreffen schöner Seelen.

Zu diesen gesellt sich ein sehr edel-jung klingender Daniel Ochoa als Alindas Vater Etelberto. Aus der kontrastierenden Dynamik des Introspektives mehr als Dramatisches akzentuierenden Quartetts der Hauptpartien mit dem hellen, dichten und die Feinreize der Partitur sehr achtsam kultivierenden Concerto de Bassus wird die Aufnahme kurzweilig. Mayr offenbart sich mit jeder Entdeckung aus Ingolstadt und Neuburg als ganz wichtiger Protagonist der italienischen Oper bis 1820.

DK


Johann Simon Mayr (1763-1845): Alfredo il Grande. Marie-Luise Dreßen, Mezzosopran (Alfredo/Elfrido), Markus Schäfer, Tenor (Gutrumo), Daniel Ochoa, Bass (Etelberto), Anna Feith, Sopran (Alinda), Sophia Körber, Sopran (Alsvita), Philipp Polhardt, Tenor (Amundo), Simon Mayr Chorus, Mitglieder des Chors der Bayerischen Staatsoper, Concerto de Bassus, Franz Hauk. Naxos.