Kein leichtes Spiel für Mr. Darcy

Quirliger Sommerhit: Mit „Stolz und Vorurteil (*oder so)“ eröffnet das Stadttheater Ingolstadt die Freilichtsaison im Reduit Tilly

19.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:07 Uhr

Auf der Suche nach „Mr. Right“: Elizabeth Bennet (Ricarda Seifried, Mitte, mit Sarah Schulze-Tenberge und Judith Nebel), die zweitälteste und klügste der fünf Bennet-Schwestern, hadert mit den gesellschaftlichen Strukturen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Foto: Malinowski

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Fünf unverheiratete Töchter! Was für ein Drama! Im England der Regency-Zeit können Frauen nämlich weder Geld noch Besitz erben. Heißt im Klartext: Beim Tod des Vaters würden Mutter und Töchter das Familiengut Longbourn an einen entfernten Erben verlieren. Also setzt die ehrgeizige Mrs. Bennet alles daran, ihre Töchter möglichst vorteilhaft zu verheiraten. Als mit Charles Bingley ein neuer Nachbar Netherfield in Besitz nimmt, wittert sie ihre Chance. Zumal sich auch sein Freund Fitzwilliam Darcy als aussichtsreicher Heiratskandidat entpuppt. Jane-Austen-Leser wissen natürlich: Am Ende wird die Liebe siegen – und zu Mrs. Bennets Beruhigung werden gleich drei Töchter unter der Haube sein. Aber bis dahin gibt es jede Menge kleine und große Katastrophen.

Die schottische Schauspielerin und Dramatikerin Isobel McArthur hat aus Jane Austens berühmtem Roman „Stolz und Vorurteil“ eine irrwitzige Pop-Komödie gemacht, die sie aus einer interessanten Perspektive erzählt – aus der der Dienstmädchen. Denn die – das wissen wir spätestens seit „Downton Abbey“ – haben ganz andere Einblicke in das Leben und Träumen ihrer Herrschaft. Sie sind eigentlich unsichtbar, aber stets präsent und verfügen über einen scharfen Blick und eine spitze Zunge, wenn es darum geht, Situationen zu kommentieren.

„Sie haben uns vielleicht nicht gesehen – aber seien Sie sicher, wir sind immer zur Stelle.“ „Bereit.“ „Hören hin.“ „Warten, dass das Glöckchen läutet.“ „Wahrscheinlich wussten wir schon vor Ihnen, was Sie brauchen.“ „Wir machen das seit 1796.“ „Länger.“ War noch kurz zuvor glockenhell-aufgeregtes Geplapper zu vernehmen, haben sich jetzt alle fünf Dienstmädchen auf der Bühne aufgebaut, blicken auf ihr Publikum hinunter und setzten an zu einer Geschichte um die Ware, äh, die wahre Liebe, soziale Abhängigkeiten, ökonomische Notwendigkeiten, unbedingten Emanzipationswillen und individuelle Freiheit. Regisseurin Mona Sabaschus hat das Stück auf die Freilichtbühne des Reduit Tilly gebracht. Am Samstagabend war Premiere – und das Publikum nach zweieinhalb Stunden ganz aus dem Häuschen.

Der Witz des Stücks liegt vor allem darin, dass Jane Austens Roman in konzentrierter Form auf die Bühne gebracht wird – aber eben nur von fünf Darstellerinnen, die das komplette Figurenpersonal wuppen. Von den namenlosen Dienstmädchen bis zu den Bennet-Mädchen, Mutter, Tante, Freundin, Nachbarin und alle Männer-Rollen (Darcy, Bingley, Collins, Wickham) dazu.

Das erfordert nicht nur Konzentration und Spielfreude, sondern auch hohes Tempo beim Kostümwechsel und eine raffinierte Bühnenlösung von Regisseurin Mona Sabaschus. Vor das klassizistische Festungsrund hat sie sich von Janin Lang eine kleine, kammerspielartige Bühne bauen lassen, die einen Mix der Jahrhunderte präsentiert. Rechts schmucklose moderne Metallspinde, links eine gediegene Gemäldegalerie mit Bank, auf der Mutter Bennet regelmäßig entnervt niedersinkt. In der Mitte eine Drehbühne auf einer Art Tortenpodest mit zwei Türen, die nicht nur allerhand Klapp-auf-Klapp-zu-Slapstick ermöglicht, sondern rasante Wechsel und frappierende Hinterbühnen-Einblicke gewährt. Punktgenau, temporeich und gewitzt wird diese Theatermaschinerie bedient – und beschert den Darstellerinnen grandiose Auftritte.

Die sind sowieso alle FABELHAFT: als kichernde, schnatternde Dienstmädchenschar wie in all ihren Doppel-, Drei- und Vierfachrollen (ganze 18 sind es insgesamt). Als Bennet-Töchter tragen sie ganz schlicht Jeans, weiße T-Shirts und Perücken, als Dienstmädchen farbige Tüllkleider im Empire-Stil darüber und für die anderen Rollen werden schon mal auf Märchenkostüme zugegriffen: So ähnelt Miss Bingleys Outfit doch sehr dem der Herzkönigin aus „Alice im Wunderland“, Lady Catherine gibt ein famoses Cruella-Double und Tante Gardiner erinnert an die dicke Disney-Fee. Auch das ist clever eingearbeitet in diese Inszenierung: Der märchenhafte Erzähl- und Stereotypenduktus dieser Liebeswahn-Kiste.

Luiza Monteiro, Judith Nebel, Ricarda Seifried, Sarah Horak und Sarah Schulze-Tenberge bilden ein atemberaubendes Quintett. Welch Spielwitz! Welch Komödiantik! Welche darstellerische Finesse! Herrlich ist das, wie sie zwischen den Zeiten springen, die Figuren aus dem 19. Jahrhundert mit der Gegenwart kombinieren und kontrastieren, Machtverhältnisse auf den Kopf stellen, von Missverständnis zu Missverständnis stolpern, Geschlechtergerechtigkeit einfordern, Selbstbestimmtheit leben. Sie beherrschen die großen Gesten wie die feinsten Nuancen, nehmen den Rollenwechsel sportlich, zelebrieren geschliffene Pingpong-Dialoge, agieren miteinander in den reizendsten Konstellationen. Darüber hinaus singen sie die Live-Karaoke wundersam, cool, anrührend, mirakulös und mit Inbrunst (Musikalische Leitung: Johannes Mittl) – von „You’re So Vain“, „Something Changed“, „Shape of You“ und „Lady in Red“ bis zum A-cappella-Stück. Und ein 1A-Gewitter zaubern sie auch.

Es macht einfach Spaß, ihnen zuzuhören und zuzuschauen, wie sie dieses Stück Weltliteratur präsentieren und dabei einen ironischen Kommentar zur Gegenwart abgeben. Klassenkampf meets Genderfragen. Trashig, wild, romantisch, schräg und höchst unterhaltsam. Zum Abschluss der Saison ein federleichter Sommerhit! Großer Applaus.

DK




ZUR PRODUKTION

Theater:

Stadttheater Ingolstadt,

Reduit Tilly

Regie:
Mona Sabaschus
Musikalische Leitung:
Johannes Mittl
Choreografie:
Sophie Charlotte Becker
Ausstattung:
Janin Lang

Vorstellungen:

bis 19. Juli

Kartentelefon:

(0841) 30547200