Ingolstadt
Stippvisiten in Tibet und Schweden

Die Welcome-Party begeistert mit Schwergewicht Maceo Parker, den frechen Newcomern Three Fall und dem Träumer Jonas Hellborg

07.11.2014 | Stand 02.12.2020, 22:01 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Noch ist in der ersten Stunde der Welcome-Party nicht viel zu spüren von den drei wilden Nächten, die dem Hotel Ambassador mit den Jazzpartys als Höhepunkte und Ausklang der Ingolstädter Jazztage bevorstehen. Den Auftakt der Finalreihe macht die Party am Donnerstagabend.

Wenn die Nachtschwärmer nach dem Kneipenjazz noch nachlegen wollen, geht’s in die Goethestraße. Manche sparen sich sogar das musikalische Vorglühen in den Kneipen und stehen schon abends um halb neun dort, wo sonst die Gäste im Restaurant bewirtet werden. Vor der Bühne ist Platz genug für die Fans – noch. Seit einigen Minuten spielt die erste Band und noch stehen die Zuhörer im Raum verteilt. Es ist ein wohltuendes lockeres Meeting, zu dem beständig neue Menschen kommen.

Es ist die Nacht, in der sich die Musiker nach ihren Acts in den Kneipen noch ganz ohne Berührungsängste unters Publikum mischen. Wo die internationalen Künstler auf Tuchfühlung mit den Besuchern im Sound der Band mitwippen, tanzen und dem Groove freien Lauf lassen. Alter ist für dieses Meeting im Zeichen von Jazz, Soul und Funk keine Frage. Feine Lederschuhe tippen ebenso beständig im Takt der Bands wie ausgetretene Chucks.

Neutral Ground Brass Band

Die Welcome-Party hat ihr ganz eigenes Feeling. Zwar mit dem gehörigen Feaver, aber noch ohne die Hektik und überbordende Anspannung der beiden folgenden Nächte. Selbst für den obligatorischen vormitternächtlichen Snack mit Weiß-würsten oder Wienern bleibt noch Platz und Muße, wenn nicht auch hier im Foyer des Hotels der Jazz seine durchdringende Dominanz ausspielen würde. Zum süßen oder scharfen Senf schält die acht Mann starke Neutral Ground Brass Band in der Umbauphase der anderen Bands mit gehörig viel Blech und Saxofon die Würstchen auf dem Teller mit ihrem Sound fast schon aus der zarten Haut heraus. Wem das alles noch nicht reicht, der kann noch fast bis in den Morgen mit den bewährten Late Night Musicians feiern. Sieben exzellente Könner zumeist aus der Region und oft auch die Künstler des Abends gesellen sich immer gerne zu einer erlebnisreichen Jamsession mit open end und viel Extragenuss für die Zuhörer.

Three Fall

Den drei jungen Männern von Three Fall fällt die Aufgabe zu, das Publikum der Welcome- Party anzuwärmen sowie auf Jazz und manches mehr einzustimmen. Das Trio gehört zu den hoffnungsvollsten neuen Strömungen des deutschen Jazz. Wie sich das anhört, damit halten die drei nicht lange hinter dem Berg. „Wir waren die letzten Wochen in Asien und anderen Teilen der Welt unterwegs“, erzählen sie. „Weil’s ne Jazzparty ist, machen wir mal ne Jam“, sagt Tenorsaxofonist Lutz Streun und schickt Posaunist Til Schneider und Drummer Sebastian Winne schon mal voraus.

Die lassen keinen Zweifel daran, dass sie mit ihren Instrumenten von ihren Eindrücken in Tibet erzählen. Aus der Posaune von Til Schneider klingen die Fanfarenklänge der buddhistischen Mönche schon mal so verlockend wie abenteuerlich an und lassen die Varianz der Posaune erahnen. Doch die Newcomer machen mehr daraus, lassen die Klänge in gurgelnden, wabernden, purzelnden Sound ausgleiten und verweben die drei Instrumente zu einer Klangblase, in der keine Einzelstimme mehr zuordenbar ist. Drummer Winne wird zum Percussionisten, treibt seine Partner voran, und zusammen kreieren sie eine enorm spannende Klangwelt. Welch ausgefeilte musikalische Idee sie dabei umsetzen, zeigt sich daran, wie sie den Bogen wieder zurückführen. Wie sie sich gemeinsam und doch jeder für sich zurück an den klassischen Klang ihrer Instrumente tasten und das Arrangement so abrupt wie präzise beenden.

Ihre Kompositionen erzählen Bilder, etwa vom unaufgeräumten Schreibtisch. „Das Lied ,Muze‘ ist allen Steuererklärungen dieser Welt gewidmet“, sagt Streun. Das organisierte Chaos in der Komposition gibt die fehlende Liebe zur Schreibtischarbeit bildhaft wieder – selbst wenn die Komposition mit einem optimistischen Schlussakkord endet. Die quirligen, einfallsreichen, jungen Musiker loten lustvoll Nischen aus und beweisen dabei, dass sie ihre Instrumente ebenso perfekt und variantenreich beherrschen wie das blind verstehende Zusammenspiel als Team. Es ist Musik, die nicht mehr loslässt.

Maceo Parker

Maceo Parker und seine Band müssen sich nicht eigens anstrengen, um das Publikum auf Betriebstemperatur zu bringen. Der Saxofonist und Sänger aus North Carolina wird bei seinem Auftritt zwei Stunden vor Mitternacht im Restaurant des Ambassador längst erwartet. „Let’s have a Fiesta“, verspricht er, und bald schon schraubt er mit Funk und Soul die Raumtemperatur spürbar höher. Er steht mit großer Besetzung auf der Bühne. Fünf Instrumentalisten – unter ihnen sein Sohn Marcus an den Drums – und zwei Sängerinnen begleiten ihn. Doch erst einmal sondiert er mit weichem Soul sein Publikum, setzt lange Instrumentalparts nach und facht bedächtig die Glut an.

Das Publikum zieht mit und lässt sich von der Kraft seiner souligen Stimme umschmeicheln.

Parker und seine Musiker entfesseln einen Rhythmus, der die Zuhörer nicht mehr aus seinem Sog lässt, unweigerlich in die Knochen fährt und die Fans reihenweise wippen und tanzen lässt. Diese Dynamik schlägt auf die Musiker zurück. Irgendwann halten sie sich nicht mehr an die Zeitmaße für ihre Songs, improvisieren einfach weiter und lassen sich von der mentalen Welle aus dem Publikum mitforttragen. Ihr Beat fetzt unaufhörlich, tritt immer wieder neue Soundorgien los und reißt die Leute mit immer neuem Schwung mit. Fast zwei Stunden lang entfesseln sie in Schlips und Anzug ihren dynamischen Wellenschlag, ohne sich selber zu schonen. Den Schlusspart übernimmt Maceos angeheiratete Nichte Darlene Parker. Ihre Aufforderung im Standard „Stand By Me“ hat das Publikum treu eingehalten.

Jonas Hellborg

Der schwedische Jazzgitarrist Jonas Hellborg hat den beschaulichen Teil der Welcome- Party gewählt. Alleine mit seiner Bassgitarre sitzt er auf der Bühne im Saal „Triva“ und ersinnt Melodien so schön und faszinierend wie Abende unter dem nördlichen Sternenhimmel. In den Stuhlreihen sitzen nicht viele Menschen, die ihn in seinen Träumereien begleiten. Dabei gilt der Schwede in der Szene als besonders lebendig, kreativ und innovativ. Den Beweis dafür zupft der Mann aus Göteborg mit jedem neuen Ton aus den vier Saiten heraus. In sich gekehrt meditierend und tief über das Ins-trument gebeugt, schlendert er auf unsichtbaren Linien den Klängen entlang.

Es sind beruhigende Töne, mit denen er einen selten friedfertigen Ruhepol schafft. Er ist damit räumlich so nah und doch unendlich weit entfernt von den überbordenden Acts der anderen Bands dieses Abends. Hellborgs Fingerfertigkeit über die Saiten und Stege steht hinter der eines Flamencogitarristen nicht zurück. Immer wieder wechselt er Rhythmen, Stimmungen und Intonation. Der Schwede achtet dabei nicht auf Zeit und Raum, bleibt ohne Pause oder neuen Ansatz in seiner Linie, flicht Klangansätze aus der indischen oder arabischen Musikwelt mit ein und verschmilzt sie mit nordischer Kühlheit. Er schafft eine besinnliche Atempause in der brodelnden Dynamik der Welcome-Party.