Frucht der Erkenntnis

„Adams Äpfel“ als Gastspiel im Studio

14.11.2022 | Stand 19.09.2023, 22:03 Uhr

Adam und Ivan im Resozialisierungscamp: Schauspieler Sebastian Kreutz haucht allen Figuren Leben ein. Foto: Kohler

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Man möchte Sebastian Kreutz ewig zuschauen. Wie er auf dem riesigen, weißen Tisch die Figuren hin- und herschiebt, aus der Lade neue hervorholt, sie einen Moment betrachtet und ihnen dann seine Hände, seine Stimme, seine Haltung leiht. Denn seine Protagonisten sind gerade mal 25 Zentimeter groß und bestehen hauptsächlich aus Stumpf und Rumpf und einem filigran gearbeiteten Kopf. Sebastian Kreutz haucht ihnen Leben ein, bringt sie zum Sprechen, Fluchen, Verzweifeln, erzählt mit ihnen Anders Thomas Jensens Geschichte „Adams Äpfel“, die 2005 mit den charismatischen Schauspielern Ulrich Thomsen und Mads Mikkelsen im Kino lief. Für zwei Tage war die Produktion des Figurentheaters marotte zu Gast in Ingolstadt. Wer sie nicht gesehen hat, hat wirklich etwas verpasst.

„Adams Äpfel“ erzählt von dem Neonazi Adam, der zur Resozialisierung unter Pfarrer Ivans Obhut kommt. Hier stößt er auf Kleptomanen, Alkoholiker, Triebtäter, Tankstellenräuber, die Ivan in seiner Naivität für „geheilt“ hält. Adam sieht klar, hält Abstand zu ihnen, verachtet sie, so wie er auch Ivan und dessen Großmut verachtet. In der Folge entspinnt sich ein Kampf zwischen Adam und Ivan über Gottes Werk und Teufels Beitrag. Denn Ivan hätte allen Grund mit Gott zu rechten: Als Kind wurde er missbraucht, sein Sohn ist behindert, seine Frau hat sich umgebracht, und ein Hirntumor droht sein Leben abrupt zu beenden. Und doch ist sein Glaube an das Gute im Menschen unerschütterlich.

Regisseurin Friederike Krahl legt den Fokus ihrer Inszenierung auf die komplexe Beziehung dieser beiden Männer: Adam und Ivan. Und mit Sebastian Kreutz hat sie einen genialen Schauspieler gefunden, der zwar in verschiedene Rollen schlüpft, aber trotzdem als Person immer sichtbar bleibt. Matthias Hänsels Figuren haben etwas Archaisches, Unfertiges an sich. In seinem Innehalten, durch prüfende Blicke oder Handgriffe scheint Sebastian Kreutz sie weiterzudenken, im Spiel zu vollenden. Er ist ein Meister darin, Spannung zu erzeugen, Psychologien auszuloten, Tiefsinn mit Skurrilität, Gewalt mit Aberwitz zu paaren. Sebastian Kreutz’ Spiel auf verschiedenen Ebenen, das kräftezehrende Ringen um die je eigene Wahrheit, erzeugt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Großer Applaus für einen fantastischen Geschichtenerzähler!

DK