„Die Ukraine ist ein großes Kulturland“

Der isländische Dirigent Gudni A. Emilsson gastiert mit der Philharmonie Lemberg beim Konzertverein Ingolstadt

10.11.2022 | Stand 22.09.2023, 2:48 Uhr

Gudni A. Emilsson ist seit 1999 Künstlerischer Leiter des Tübinger Kammerorchesters. Foto: privat

Ingolstadt/Tübingen – Gudni A. Emilsson ist ein isländischer Dirigent – im Interview allerdings verblüfft er mit hervorragenden Deutschkenntnisse. Der Grund dafür ist einfach: Emilsson hat 1986 mit dem Dirigierstudium in Deutschland begonnen. Danach schlossen sich zahlreiche Gastdirigate hier an, so dass es sich anbot, in Deutschland zu bleiben. Inzwischen lebt Emilsson mit seiner Frau und seinen Kindern in Tübingen. Regelmäßig allerdings leitet er auch die Philharmonie Lemberg, mit der er bereits 2020 in Ingolstadt gastierte. Nun kommt er erneut mit dem Orchester zum Konzertverein – die Umstände haben sich allerdings seit Kriegsausbruch dramatisch verändert.

Herr Emilsson, wie ist die Situation für die Musiker in Lemberg?
Gudni A. Emilsson: Von dem Krieg sind alle Ukrainer betroffen, ob sie nun in dem stärker umkämpften Osten leben oder im Westen wie die Mitglieder des Orchesters. Die Sirenen heulen auch in Lemberg jeden Tag, was ein unglaublicher Stress ist.

Wann haben Sie zuletzt in Lemberg geprobt?
Emilsson: Vor einem guten Monat. Alle meine Freunde haben mich natürlich für verrückt erklärt, dass ich gerade jetzt in die Ukraine fahre. Meine Frau hat ein Riesentheater veranstaltet. Für mich war es aber selbstverständlich. Ich will das Land nicht mit Waffen verteidigen, aber mit Mozart und Beethoven. Auch Musik hat gewaltige Stärke.

Wie liefen die Proben?
Emilsson: Wir spielen in unserem normalen Konzertsaal. Dort sind allerdings im Parkett alle Stühle abgeschraubt, stattdessen liegen überall Hilfsgüter. Der Saal wird also als Lagerraum genutzt. Das Orchester spielt dennoch immer wieder Konzerte, das Publikum kann dann allerdings nur im Rang sitzen. Natürlich versuchen die Leute dort, ihr normales Leben weiterzuführen. Das gelingt allerdings nur zum Teil. Der Konzertmeister des Orchesters etwa ist derzeit nicht in Lemberg. Seine Frau ist Koreanerin. Korea hat aber angeordnet, dass alle Bürger des Landes die Ukraine verlassen müssen. Natürlich möchte er möglichst bald wieder zurückkehren.

Ist es ein Problem, dass Musiker nicht zum Militärdienst eingezogen werden, sondern weiterhin Musik machen dürfen?
Emilsson: Ich glaube, das ist auch das besondere Interesse der Regierung. Ein kulturelles Leben soll erhalten bleiben, außerdem sollen sich die Orchester im Ausland präsentieren können. Aber von den Musikern habe ich auch gehört, dass es derzeit schwierig ist, Solisten aus dem Ausland zu engagieren. Auch mir haben ja alle abgeraten, in die Ukraine zu reisen.

Nun gehen Sie allerdings mit dem Orchester im Ausland auf Tour?
Emilsson: Ja. Ich bin ein engagierter Gastdirigent seit meinen Studententagen. Kürzlich wollte meine Tochter wissen, in wie vielen Ländern ich schon dirigiert habe. Wir kamen auf die Zahl 64. Das fand sie unfair, sie hat nur 16 Länder besucht.
Die Musiker des Orchesters verstehen sich vermutlich als Kulturbotschafter ihres Landes. Aber was vermag Musik überhaupt auszurichten in diesem furchtbaren Krieg?
Emilsson: Ich denke, die Musiker machen der Welt klar, was für eine unverzichtbare und großartige Kulturnation die Ukraine ist. Russland ist fast schon abhängig von diesem Land. Denn viele Musiker, die eigentlich Ukrainer sind, sind als Russen bekannt. Das berühmte Moskauer Konservatorium ist voll mit Musikern etwa aus Odessa. Die meisten großen russischen Geiger und Pianisten kommen aus der Ukraine. Vladimir Horowitz etwa oder der Pianist Emil Gilels. Ebenso Swjatoslaw Richter – er hat natürlich auch deutsche Wurzeln. Oder David Oistrach und Leonard Kogan. Oder der legendäre Pianist und Pädagoge Heinrich Neuhaus, der alle wichtigen russischen Pianisten unterrichtet hat. Vielen ist gar nicht bewusst, wie intensiv der Austausch zwischen den Künstlern über die Grenzen hinweg war. Unser Konzertmeister hat natürlich in Moskau studiert – das ist nur ein Beispiel. Die Musik ist die ganze Zeit über eine Brücke zwischen den verschiedenen Nationen. Und das muss aufrechterhalten werden. Die Ukraine aber ist ein außergewöhnliches Kulturland, und das sollte auch deutlich gemacht werden. Zum Beispiel auch, dass der Sohn von Wolfgang Amadeus Mozart, Xaver Mozart, die Philharmonie Lemberg gegründet hat.

Sie kommen mit einem sehr jungen Solisten, Justus Friedrich Eichhorn, er ist erst zwölf Jahre alt.
Emilsson: Ja, er ist ein erstaunliches Talent. Unsere Agentur hat den Kontakt hergestellt.

Mit Wunderkindern aufzutreten, befriedigt ja immer auch eine gewisse Sensationsgier. Besteht nicht die Gefahr, dass die Musik da in den Hintergrund tritt?
Emilsson: Wir haben uns noch nicht getroffen. Aber die Aufnahmen, die ich gehört habe, sind sehr vielversprechend. Ich bin mir sicher, dass wir einer außergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeit begegnen werden, von der wir in Zukunft noch viel hören werden.

DK

Das Interview führteJesko Schulze-Reimpell.



Gudni A. Emilsson gastiert mit der Philharmonie Lemberg am Montag, 14. November, 20 Uhr, im Ingolstädter Festsaal. Auf dem Programm steht die „Oberon-Ouvertüre“ von Carl Maria von Weber, das 2. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven und die 8. Sinfonie von Antonín Dvořák. Solist ist der zwölfjährige Pianist Justus Friedrich Eichhorn. Konzertkarten gibt es unter Telefon (0151) 51600800.