Seine Worte hallten lange nach. „Ich möchte, dass wir das im Konzert für ihn spielen und nach oben senden.“ Das sagte Simon Rattle, als auf der Anspielprobe zum ersten Konzert in Taiwan das Vorspiel zu Richard Wagners „Lohengrin“ erklang. Das Schweigen war groß auf dem Podium, größer noch die schwelende Betroffenheit. Eine seltsame Stimmung machte sich breit, und das kann womöglich auch gar nicht anders sein.
Denn ziemlich genau vor fünf Jahren war Mariss Jansons, der langjährige, höchst verdiente Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR), verstorben. Dass just an seinem fünften Todestag ein Konzert der BR-Symphoniker auf der Agenda steht, ist schon für sich allein ein schwerer Moment. Im Rahmen einer großen Asien-Tournee unter dem Nachfolger Rattle bekommt das eine zusätzliche Bedeutungsschwere.
Und schließlich ist da noch Taiwan: Es war Jansons, der das Orchester im Jahr 2007 erstmals in seiner Geschichte überhaupt nach Taiwan gebracht hatte. Beim ersten Konzert der Taiwan-Station in Taipeh war das alles präsent. Schon auf einer Pressekonferenz wurde Rattle zu Jansons befragt. Beim feierlichen Empfang nach dem Abendkonzert prangten auf großen Bannern einige Fotos von Jansons mit dem BR.
Dennoch wurde in Teilen diskutiert, ob die Würdigung zum Gedenken an Jansons nicht noch hätte ausgebaut werden können. Im Programmheft zum Abendkonzert wurde das besondere Datum nicht weiter erwähnt, auch kein Foto von Jasons. Auf Nachfrage konnten die BR-Vorstände Thomas Reif (Konzertmeister), Natalie Schwaabe (Flöte) und Bettina Fais (Klarinette) solche Einwände durchaus verstehen.
Gleichzeitig betonten sie, dass Jansons nach seinem Tod in die neue Ära unter Rattle mitgenommen worden sei. Während der ersten Spielzeit von Rattle als BR-Chefdirigent seien viele Werke in Konzerten im Geiste von und im Gedenken an Jansons gespielt worden: auch mit Ansprachen. Zudem verwiesen sie auf die Internet-Seite der BR-Symphoniker, wo der verstorbene Chefdirigent mit der dauerhaften Rubrik „Mariss Jansons Zeitstrahl“ gewürdigt wird.
„Er ist und bleibt Teil unserer DNA“, betonte der Vorstand im Gespräch. „Wir haben ihn mitgenommen in die neue Zeit, aber jetzt muss es auch darum gehen, eine neue Ära einzuläuten und eine neue Identität herauszubilden.“ Und genau das ist auf der jetzigen Asien-Tournee geschehen: Man konnte Zeugen werden einer tiefen Verbundenheit zwischen Rattle und den BR-Symphonikern.
In Gesprächen wie auch auf den drei Pressekonferenzen in Seoul, Tokio und Taipeh sprach Rattle oft von einer „Familie“. Er schwärmte geradezu von seinem Orchester. „Es gibt viele exzellente Orchester auf der Welt, aber nur wenige sind Poeten. Sie sind Poeten“, sagte Rattle beispielsweise. Auch Jansons war generell präsent auf dieser ersten Asien-Tournee des Orchesters nach seinem Tod und mit Rattle als Chefdirigent.
Bei nahezu jeder Gelegenheit kam Rattle auf Jansons zu sprechen. Gleichzeitig war schnell zu beobachten, wie beliebt Rattle und Jansons gleichermaßen in Asien sind. Und doch setzte Rattle erfolgreich ganz eigene Akzente, und zwar nicht zuletzt programmatisch. Ob Moderne oder zeitgenössische Musik: Da wurden auch Werke in Asien präsentiert, die alles andere als kommerziell sind.
Eine derart couragiert programmierte Asien-Tournee wurde bislang von keinem großen Orchester in München gestemmt. Im Vorfeld muss zumal in Japan der Widerstand beim Veranstalter groß gewesen sein, aber: Die Karten haben sich prächtig verkauft. Das frühere Argument von Jansons und manchen Veranstaltern, dass Tour-Programme konventioneller geschnürt sein müssten, ist derart pauschal formuliert nicht haltbar. Es kommt eben auf die Mischung an.
Beides ging bei der Asien-Tournee der BR-Symphoniker mit Rattle vollständig auf. Das Publikum war buchstäblich aus dem Häuschen. Und als beim großen Taiwan-Auftaktkonzert in der tempelartigen „National Concert Hall“ in Taipeh das „Lohnengrin“-Vorsiel erklang, war es mucksmäuschenstill. Jansons war präsent an diesem Abend fünf Jahre nach seinem Tod. Er hat die Nachricht von Rattle und seinem einstigen Orchester empfangen.
DK
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