Volker Kutscher liest in Pfaffenhofen
Der Bestsellerautor stellt das Finale der Gereon-Rath-Reihe vor - auf ihr beruht die TV-Serie „Babylon Berlin“

03.11.2024 | Stand 03.11.2024, 15:00 Uhr |

Volker Kutscher: „Ich hatte ein bisschen Bammel vor dem zehnten Roman.“ Foto: Witzke

20 Jahre Arbeit hat Volker Kutscher in die Reihe um Gereon Rath gesteckt. Zehn Bände sollten es werden, die von 1929 bis 1938 erzählen, wie sich aus der Weimarer Republik die NS-Diktatur entwickeln konnte – und damit der Weg Richtung Auschwitz und Richtung Krieg. „Die Pogromnacht markiert den Point of no return“, sagt Volker Kutscher. Denn der Nazi-Terror der Pogrome überschreitet endgültig die Schwelle zur systematischen Vertreibung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden, markiert den unwiderruflichen Zivilisationsbruch. „Es sind zehn entscheidende Jahre in der deutschen Geschichte“, sagt Volker Kutscher. Der Hauptantrieb seines Schreibens war die Frage: Wie konnte das passieren?

Band 10, das große Finale, trägt schlicht den Titel „Rath“. Vor wenigen Tagen ist das Buch erschienen und sofort auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste gestürmt. Am Freitag stellte der Autor es im Rahmen der Pfaffenhofener Lesebühne im Rathausfestsaal vor. Bereits zum dritten Mal ist Volker Kutscher hier zu Gast. Erstmals moderiert Schriftsteller-Kollege Steffen Kopetzky („Propaganda“, „Damenopfer“) den Abend.

„Ich hatte ein bisschen Bammel vor dem zehnten Roman“, gesteht Volker Kutscher gleich zu Beginn. „Ich wusste lange nicht, wie er ausgehen und wer überleben würde.“ Das verrät er an diesem Abend natürlich nicht. Viele lose Fäden müssen im letzten Band zusammengeführt werden. Denn nach seiner Flucht in die USA erhielt Gereon Rath die Nachricht, dass sein Vater im Sterben liegt, kehrt zurück und lebt unter falschem Namen in Rhöndorf bei Bonn – bei der Familie Adenauer. Immerhin lauert sein mächtiger Erzfeind, SS-Obersturmbannführer Sebastian Tornow, darauf, ihn zur Strecke zu bringen. Die Treffen mit Ehefrau Charlotte sind deshalb selten und gefährlich. Darüber hinaus hat sie ganz andere Sorgen. Beider Ziehsohn Fritze ist verschwunden und steht unter Mordverdacht. Weil Charly der Kriminalpolizei nicht traut, ermittelt sie selbst.

Insgesamt drei Passagen liest Volker Kutscher in Pfaffenhofen. Alle drei markieren Wendepunkte in den Biografien der Figuren: ein missglücktes Date, ein Monopoly-Spiel im Hause Adenauer und schließlich Theos und Fritzes versuchte Flucht nach Polen. Dazwischen geht es im Gespräch mit Steffen Kopetzky um Fragen nach der Recherche und den Umgang mit realen Figuren wie etwa Ernst Gennat, der mehr als 30 Jahre unter drei politischen Systemen als einer der erfolgreichsten Kriminalisten Deutschlands arbeitete. „So eine Figur konnte ich nicht besser erfinden“, erklärt Kutscher.

Es geht um das Münchner Abkommen (Abtretung des Sudetengebiets an das Deutsche Reich) und um die Frage, ob es Alternativen dazu gegeben hätte. Um die Folgen der Pogrome. („Das Problem waren nicht nur die Nazis, sondern die Nachbarn und Freunde, die einfach weggeguckt haben.“) Aber auch um das Spiel Monopoly, das aus den USA nach Deutschland kam und ursprünglich Berliner Straßennamen trug. Das Spiel um Spekulationen, Immobilienpoker und fragwürdige Kredite wurde übrigens von den Nationalsozialisten verboten und kam erst 1953 wieder auf den Markt.

Und es geht auch um den Titel. „Rath“ bezieht sich natürlich auf Gereon Rath, seine Frau Charly und seinen Bruder Severin. Aber eben auch auf den realen deutschen Diplomaten Ernst vom Rath (1909–1938). Das Attentat, das Herschel Grynszpan am 7. November 1938 auf ihn verübte, hatte dem NS-Regime als Vorwand für die folgenden Novemberpogrome gedient.

Wie seine Vorgänger ist auch Band 10 akribisch recherchiert, der Plot spannend, beeindruckt mit historischer Tiefenschärfe und psychologischer Figurenzeichnung. Und bietet angesichts des weltweiten Erstarken der extremen Rechten genügend Stoff zum Nachdenken. Und was kommt danach? Volker Kutscher kündigt noch einen Kurzgeschichten-Band aus dem Gereon-Rath-Universum an. Danach wird er in seinem Ideen-Ordner der vergangenen 20 Jahre schauen, was sich da so angesammelt hat. „Ich greife mir die raus, worauf ich die meiste Lust habe.“

DK


Volker Kutscher: Rath, Piper, 624 Seiten, 26 Euro.

Podcast und Lesungen:

Volker Kutscher hat mit seiner Roman-Reihe um Kommissar Gereon Rath auch die Vorlagen für die Erfolgsserie „Babylon Berlin“ geschrieben. Zusammen mit Moderator Thomas Böhm begibt er sich in dem Podcast „Der Zerfall Babylons“ zurück in die Zeit zwischen 1929 und 1938. Jede Woche erscheint eine neue Folge in der ARD-Audiothek. Live ist Volker Kutscher am 27. November in München (NS-Dokumentationszentrum) und am 4. Februar 2025 in Ingolstadt (Buchhandlung Rupprecht) zu erleben.

DK



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