Bürde statt Würde
Streit im Ingolstädter Stadtrat über Ehrenbürgerwürde des ehemaligen OB Listl

12.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:22 Uhr

Der ehemalige Oberbürgermeister Josef Listl (Mitte) gilt als einer der Wegbereiter des Baus des Stadttheaters Ingolstadt. Er war allerdings auch OB während der Nazi-Zeit. Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob ihm die Ehrenbürgerwürde postum aberkannt werden soll. Foto: DK-Archiv

Ehrenbürger sollen eine Stadt eigentlich schmücken. Verdiente Frauen und Männer werden gewürdigt und ihre Strahlkraft lässt so auch die Stadt leuchten. Aber Ehrenbürger können auch einen Schatten auf das Stadt-Image werfen – besonders, wenn sie Adolf Hitler oder Ernst Röhm heißen.



Die Ingolstädter Stadt-Spitze hat sich nun entschlossen, den Personen die Ehrenbürgerwürde postum abzuerkennen, die während der Zeit des Nationalsozialismus geehrt wurden. Dazu zählen außer den beiden oben genannten Bürgern auch noch Paul von Hindenburg, Adolf Wagner, Franz Ritter von Epp und die Ingolstädter NSDAP-Funktionäre Ludwig Liebl und Friedrich Schott. Damit würde die Stadt auf eine rege und kritische Diskussion der vergangenen Monate reagieren. Bisher hatte die Stadtregierung die Position vertreten, dass sie nicht aktiv werden muss, da die Ehrenbürgerwürde ohnehin mit dem Tod der Geehrten ende.

„Bisherige Haltung reicht nicht“

Inzwischen hat allerdings ein Umdenken eingesetzt, erläuterte Gabriel Engert bereits vor einiger Zeit gegenüber unserer Zeitung. „Diese Thematik hat einen Schub bekommen, auch durch die Forschungsgruppe über die Zeit des Nationalsozialismus im Stadtarchiv und dadurch, dass auch Themen wie der Umgang mit Sinti und Roma mehr in den Vordergrund gerückt sind“, sagt Engert. „Ich bin der Meinung, unsere bisherige Haltung reicht da nicht.“

Deshalb wollte der Stadtrat gemäß einer Sitzungsvorlage in seiner nichtöffentlichen Sitzung am 2. Juni den genannten Personen die Ehrenbürgerwürde aberkennen. Dazu kam es allerdings nicht, wie nun aus Teilnehmerkreisen bekannt wurde. Die Entscheidung wurde auf die nächste Sitzung im Juli vertagt. Die heftige Diskussion entzündete sich allerdings nicht an diesem unstrittigen Personenkreis, sondern wegen eines anderen einflussreichen Ingolstädter Ehrenbürgers: Josef Listl (1893–1970). Gemäß der Sitzungsvorlage sollte er, genauso wie der ehemalige DONAUKURIER-Verleger Wilhelm Reissmüller, zunächst nicht die Ehrenbürgerwürde verlieren, obwohl beide in der Zeit des Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit aktiv waren. Vielmehr sollte bei ihnen ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben werden, das deren Rolle in der Zeit der Nazi-Herrschaft klärt. Erst danach würde der Stadtrat über eine mögliche postume Aberkennung der Ehrenbürgerwürde entscheiden.

Einige Stadtratsmitglieder unterschiedlicher Fraktionen waren allerdings in der Sitzung am 2. Juni der Meinung, dass die Ehrenbürgerwürde von Listl unverzüglich aberkannt werden sollte, da seine Verfehlungen etwa in Bezug auf das Thema Euthanasie offensichtlich und gut dokumentiert seien. Andere Stadträte wandten ein, dass Listl nicht in der Zeit des Dritten Reichs geehrt wurde, sondern 1965. Listl war zweimal Oberbürgermeister (bzw. Bürgermeister) in Ingolstadt, einmal als Mitglied der NSDAP zwischen 1930 und 1945 und später zwischen 1956 und 1962 als Mitglieder der CSU. Auch Reissmüller wurde übrigens erst 1976 zum Ehrenbürger ernannt. Beiden ist gemeinsam, dass sie sich in der Nachkriegszeit Verdienste erworben haben.

Gutachten soll erstellt werden

Reissmüller heiratete in den 1930er-Jahren die Tochter des Verlegers Ludwig Liebl und kümmerte sich 1935 um die Übernahme der bürgerlichen „Ingolstädter Zeitung“, die er mit dem nationalsozialistischen Hetzblatt „Donaubote“ seines Schwiegervaters fusionierte. Später war er Verlagsleiter der Zeitung „Donaubote“. Nach 1949 wurde er Verleger und Herausgeber des DONAUKURIER, der sich in die Tradition der „Ingolstädter Zeitung“ stellte. Reissmüller engagierte sich nach 1945 bei verschiedenen sozialen und kulturellen Projekten.

Eine Gruppe von Stadträten war der Meinung, dass auch bei Josef Listl die angeblichen dokumentierten Verfehlungen in der Zeit des Nationalsozialismus zunächst sorgfältig untersucht und eingeordnet werden müssten. „Es hat schließlich schon ein besonderes Gewicht, dass ein demokratisch legitimierter Stadtrat den ehemaligen Oberbürgermeister zum Ehrenbürger gewählt hat. Darüber wollte man sich nicht allzu leichtfertig hinwegsetzen“, erzählte ein Sitzungsteilnehmer. Daher soll nun ein kurzes wissenschaftliches Gutachten zur Biografie von Josef Listl bis zur nächsten Stadtratssitzung erstellt werden – mit einer Empfehlung, wie der Stadtrat entscheiden solle.

Kommentar

Die Diskussion darüber, ob Ehrenbürger mit nationalsozialistischer Vergangenheit neu bewertet werden sollten, betrifft auch unsere Zeitung. Denn der DONAUKURIER steht in einer unheilvollen Tradition mit dem „Donauboten“, einer Hetzschrift, die immer wieder mit dem „Stürmer“ verglichen wird. Verleger und Verlagsleiter des nationalsozialistischen Blattes waren der Sanitätsrat Ludwig Liebl und dessen Schwiegersohn Wilhelm Reissmüller, der noch bis zu seinem Tod 1993 unsere Zeitung herausgab. Besonders Liebl gilt als engagierter Nazi, er stand zeitweilig dem NSDAP-Ortsverein vor und war der Vorsitzende des von ihm initiierten Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes.

Es liegt im Interesse unserer Zeitung, dass nun mit kühlem Blick die nationalsozialistischen Verstrickungen auch des ehemaligen Verlegers Reissmüller ergebnisoffen untersucht werden. Denn diese Art der Aufklärung entspricht genau dem demokratischen Geist, dem sich die Redaktion des DONAUKURIER verschrieben hat.

Jesko Schulze-Reimpell