Ich bin ein Berliner

09.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:05 Uhr

In Meyers Konversationslexikon aus dem 19. Jahrhundert heißt es: „Der Charakter der Berliner lässt sich schwer bestimmen, da im Lauf der Zeit die verschiedensten Elemente durch Zuzug von Fremden Platz gegriffen haben.“ Diese Aussage kann ich erfahrungsgemäß nur bestätigen. Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen. Denn nach zehn Jahren, die ich nun schon in dieser Stadt lebe, kenne ich maximal drei echte Berliner.

Denn „echte Berliner“ sind in Berlin eine wahre Seltenheit. Dafür ist jeder, der nach Berlin kommt, automatisch und sofort Berliner. Das ist John F. Kennedys spärlichen Deutschkenntnissen zuzuschreiben. Ausgenommen von dieser Großzügigkeit sind nur Bayern und Schwaben. Die sind und bleiben „die Bayern“ oder „die Schwaben“, meist mit leicht abfälligem Unterton. Warum? Weil wir die Immobilienpreise kaputtmachen, indem wir in runtergekommene Häuser investieren, diese sanieren und dann auch noch selbst einziehen. Anschließend pflanzen wir Bäume, organisieren Straßenfeste und kurbeln mir nichts dir nichts die Wirtschaft an. Eine unerhörte Invasion für das arme, aber sexy Berlin.

Trotzdem, oder vielleicht gerade weil ich aus Bayern komme, habe ich versucht, mich als Ausländerin zu integrieren. Ich legte also das Dirndl ab, versuchte hochdeutsch zu sprechen und regionale Besonderheiten zu erlernen. Der Fernsehturm heißt „Keule“, was man wiederum auch zu einer guten Freundin sagen kann. Die „Schweinshaxe“ nennt der Berliner seltsamerweise „Eisbein“. „Krapfen“ dagegen „Berliner Pfannkuchen“ und „Pfannkuchen“ heißen „Eierkuchen“. Brezen jibt et nich. Zumindest keine, die schmecken. Auf keinen Fall darf man irgendjemanden hier siezen oder bei einer roten Ampel als Fußgänger stehen bleiben. Da würde man sich sofort als „Zugezogene“ entlarven.

Die einzige Ausnahme besteht am Prenzlauer Berg. Sollte man dort in Gegenwart von Kindern eine rote Ampel passieren, wird man an Ort und Stelle von einer Horde bayerischer Bio-­? Mütter gelyncht. Sie töten mit Blicken.

Nach vielen Jahren in dieser Stadt könnte man mich heute als erfolgreich integrierte Bürgerin Berlins mit bayerischem Migrationshintergrund bezeichnen. Ich passe mich nun mal an. Nur manchmal schleiche ich mich heimlich mit anderen Ausländern ins Hofbräuhaus am Alexanderplatz. Dann trage ich mein Dirndl, bestell a Schweinshaxn mit Knödl und korrigiere die Bedienung, die einen Liter Bier einfach nicht aussprechen kann. Doch ich warte ab, bis die Blaskapelle Pause macht, um dann in die Stille zu schreien: „Herrschaftszeiten! Des hoaßt: a Maß!“ Irgendwer muss es ihnen ja beibringen, wa?