Der Mann in Lederjacke

12.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:55 Uhr

Er dreht Filme wie andere Leute Zigaretten“, schrieb der „Spiegel“ 1975 über ihn: Fassbinder, Rainer Werner. Deutscher Regisseur, Autor und Schauspieler. Maßgeblicher Vertreter des Neuen Deutschen Films der 60er und 70er. Wunderkind und Tyrann; Säufer und Genie. „Fasssbinder – Jetzt“ lautet die derzeit laufende Ausstellung im Martin-Gropius-Bau anlässlich seines 70. Geburtstages.

Ein Jubeltag, den RWF nicht annähernd erreichte. „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, sagte er. Und das tut er nun schon seit 1982. Nach nur 37 Jahren verabschiedete er sich in den ewigen Schlaf. Er muss sehr müde gewesen sein. Denn RWF hinterließ 23 Theaterstücke und 44 Spielfilme. Beweisstücke dieser sehr präzisen Massenproduktion sind vor Ort ausgestellt. Notizen, Briefe, Kalkulationen, Skripte und Drehbücher. Besonders beeindruckend: ein kompletter Drehplan über 30 Tage mit 27 Schauspielern, dargestellt in Kolonnen – auf nur einer DIN-A-4-Seite.
 
Noch spannender allerdings finde ich seine persönlichen Gegenstände. Darunter ein koffergroßes Diktiergerät, wie auch Fassbinders Originalschreibmaschine – die er scheinbar nur selten benutzt hat. Denn fast alle ausgestellten Schriftstücke wurden handschriftlich abgefasst. Schier unbegreiflich für eine Person wie mich, die sich außer an „Datum“, „Ort“ und „Unterschrift“, kaum noch handschriftlich betätigt. Hinter Glas hängt seine schwarze Lederjacke mit acht Reißverschlüssen und rotem Futter, die fast in jedem Filmbeitrag über und mit Fassbinder zu sehen ist. War wohl sein Lieblingsstück. Außerdem zu lesen seine nun digitalisierte Filmkritik über einen Godard-Film, die RWF schrieb, um 1967 von der Film- und Fernsehakademie Berlin aufgenommen zu werden – sowie deren Ablehnungsbescheid. Das macht mir seltsamerweise Mut.
 
Etwas fehl am Platz wirkt das an der Wand aufgehängte Fahrrad. Die Hinweistafel klärt auf: Es handelt sich um RWFs Rennrad, von ihm auf „Franzl II“ getauft. Das finde ich sympathisch. Dass RWF Gegenständen Namen gibt. Macht ihn irgendwie menschlich. Verletzlich. Echt. Franzl, so steht auf der Tafel, wurde dem Berserker und Bürgerschreck während Dreharbeiten in Berlin geklaut. Fassbinder habe Deutschland verändert. Doch Fahrräder werden in Berlin noch immer geklaut.
 
Manches ändert sich eben nie. Fassbinder war ein obsessiver Arbeiter und wichtiger Impulsgeber für die zeitgenössische Kunstproduktion. Und vieles mehr. Schon klar. Aber eben auch ein Mann in Lederjacke. Auf einem Rennrad. Happy Birthday, Rainer. Schlaf dich aus. Hast es dir verdient. Zur Person: Christiane Hagn wurde 1980 in Ingolstadt geboren. Sie studierte Theater- und Medienwissenschaften, Psychologie und Spanisch in Erlangen. 2005 zog sie nach Berlin. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, arbeitet als Drehbuchautorin und Ghostwriterin.