Andy Warhol und der Eichstätter SL

Wie ein Köschinger Mercedes-Benz zum Vorbild für ein Werk des US-amerikanischen Künstlers wurde

22.06.2022 | Stand 22.09.2023, 21:59 Uhr

Endlich vereint: Bis 26. Juni ist der Mercedes-Benz 300 SL aus dem ehemaligen Besitz eines Köschinger Sammlers mit dem Siebdruck von Andy Warhol in Stuttgart im Mercedes-Benz-Museum zu sehen. Foto: Brand/2022 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts Inc./Lincensed by Artists Rights Society, New York

Von Jürgen Brand

Stuttgart – In der baden-württembergischen Landeshauptstadt ist bis Sonntag ein ganz außergewöhnliches Duo zu bewundern, das bisher noch nie zueinandergefunden hat: das erste Motiv von Andy Warhols (1928–1987) berühmter „Cars“-Serie mit dem Mercedes-Benz 300 SL „Flügeltürer“ – und das Original-Auto mit Eichstätter Kennzeichen, das dafür sozusagen Modell gestanden hat. Dass die beiden jetzt für wenige Tage im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart zueinandergefunden haben, ist einer Reihe von Zufällen und der Hartnäckigkeit einiger Beteiligter zu verdanken.

Auftragsarbeit desGaleristen Hans Mayer

Der Pop-Art-Pionier Warhol kam in den 1980er Jahren nicht selbst auf die Idee, berühmte Autos künstlerisch zu verewigen. Die Initiative dafür ging vielmehr von dem Düsseldorfer Galeristen Hans Mayer aus, einem gebürtigen Ulmer, der als einer der wichtigsten Galeristen für Gegenwartskunst gilt. Der – so wurde es bei der Präsentation von SL und Warhol-Werk in Stuttgart erzählt – schlug der damaligen Daimler-Benz AG anlässlich des hundertsten Geburtstags des Automobils vor, die wichtigsten Modelle der Automobil-Geschichte von Andy Warhol zu einer Serie verarbeiten zu lassen. Das soll den damals bei Daimler Verantwortlichen zunächst nicht gefallen haben, weil sie damit auch konkurrierenden Autoherstellern eine Plattform gegeben hätten.

Mayer war aber von seiner Idee so überzeugt, dass er ein Sportwagenbuch einpackte, zu Warhol flog und ihn bat, sozusagen einen Prototypen zu kreieren, um Daimler damit zu überzeugen. Zumindest haben das die Initiatoren der Stuttgarter Mini-Ausstellung bei ihren Nachforschungen so herausgefunden. Die Wahl fiel auf einen in dem Buch abgebildeten 300 SL. Warhol machte mit, bei Daimler war man von dem Ergebnis begeistert und gab 1986 die „Cars“-Serie in Auftrag. Eigentlich hätte die Serie 80 Werke umfassen sollen. Als Warhol ein Jahr später starb, waren 36 Bilder und 13 großformatige Zeichnungen fertig. 30 der Siebdruckbilder und die Zeichnungen sind im Besitz der Mercedes-Benz Art Collection, natürlich auch die Nummer 1 der Serie, der Flügeltürer mit dem Kennzeichen EI-DR 1.

Warhol hielt am EI-Kennzeichen fest

Bei dem Buch handelte es sich offenbar um den Band „Seriensportwagen von 1945 bis 1980“ von Frank Oleski, erschienen 1984 im Motor Classik Verlag. Oleski hatte den 300 SL bei einem Sammler in Kösching im Kreis Eichstätt fotografiert, Andy Warhol behielt für sein Werk auch das Eichstätter Kennzeichen bei. Das wiederum machte es jetzt einfacher, die Auto-Rarität zu identifizieren und dem Bild zweifelsfrei zuzuordnen.

Als der Sammler aus Kösching starb, wollte die Familie einige Jahre später seine Auto-Sammlung und damit auch den SL verkaufen, das war 2020. Und da kam Axel Schuette ins Spiel, dem Vernehmen nach einer der renommiertesten Oldtimer-Händler in Deutschland, der auch zur Präsentation eigens nach Stuttgart reiste. Der wurde auf den möglichen Zusammenhang zwischen dem Eichstätter 300 SL und dem Warhol-Werk aufmerksam, recherchierte, wandte sich an den auf das Tuning vor allem von Mercedes-Modellen spezialisierten Autohersteller Brabus. Und die Brabus-Verantwortlichen meldeten sich bei Mercedes.

Das Fahrzeug, das längst nicht mehr im Originalzustand war, wurde aufwändigst restauriert, 4500 Arbeitsstunden verteilt über zwei Jahre steckte Brabus in die Rarität, wurde in Stuttgart berichtet. Die Classic-Abteilung von Mercedes erstellte eine Expertise dafür, die keinen Zweifel daran lässt, dass es sich tatsächlich um einen originalen Mercedes SL 300 handelt, Brabus sorgte für den Nachweis, dass Andy Warhol genau dieses Auto als Vorbild genommen hatte.

Genau sieben Tage dürfen der Flügeltürer und sein Pendant auf Leinwand jetzt zusammen sein und im Atrium des Mercedes-Benz-Museums bewundert werden. Dann ist die kurze Liaison schon wieder zu Ende, weil der Warhol-SL weltweit begehrt ist und deswegen schon am Montag, 27. Juni, sorgfältigst verpackt auf Reisen geht. Das Kunstwerk wird für eine Ausstellung im Petersen Automotive Museum in Los Angeles ausgeliehen und wird dort dann bis 23. Januar gezeigt.

DK