Ingolstadt
Zu kleine Gehirne?

Ein Abend über Frauen in der Kunst bei den Künstlerinnentagen Ingolstadt

18.10.2021 | Stand 23.09.2023, 21:22 Uhr
Masha Dimitrieva ist eine in Gaimersheim lebende russische Pianistin. −Foto: Schulze-Reimpell

Ingolstadt - Ein Konzert nur mit Werken von Komponistinnen wirkt immer ein wenig bemüht. Eigentlich sollte doch einfach gute, interessante Musik gespielt werden, nicht jedoch Werke einer bestimmten Bevölkerungsgruppe. Im Rahmen der Ingolstädter Künstlerinnentage hat sich die in Gaimersheim lebende russische Pianistin Masha Dimitrieva dennoch vorgenommen, genau diese Musik in der Kulturhalle P3 vorzutragen. Was auf den ersten Blick nichts Überraschendes zutage förderte. Denn Frauen komponieren nicht anders als Männer.

Dazu passend erzählte Dimitrieva immer wieder, dass die vorgetragenen Komponistinnen gerade auch von Zeitgenossen gelobt wurden, meist mit der Bemerkung, die Frauen würden eigentlich wie Männer komponieren. Was für eine böse Ironie der Geschichte!

Tatsächlich existieren sehr wenige Komponistinnen von Rang. Die meisten, die in den vergangenen Jahren wiederentdeckt wurden, sind nicht gerade besonders bedeutend. Genau das zeigte auch das Gesprächskonzert mit Masha Dimitrieva. So klingt das "Lied ohne Worte" von Fanny Hensel fast genauso wie etwas schwächere Kompositionen ihres Bruder Felix Mendelssohn, die "Romance" von Clara Schumann ist ein gewitztes Charakterstück und kaum zu unterscheiden von Werken ihres Mannes Robert Schumann. Und auch der erste Satz der klangschönen c-Moll-Sonate der spätromantischen Komponistin Cécile Chaminade wirkt nicht gerade besonders inspiriert. Erst im 20. Jahrhundert beginnen Komponistinnen eigenständiger zu komponieren, und natürlich ist etwa Sofia Gubaidulina eine absolut meisterhafte Komponistin - und es ist überhaupt nicht nötig, dabei irgendeinen Zusammenhang zu irgendwelchen Männern herzustellen. Masha Dimitrieva rettet den Abend vor allem durch ihr spannungsgeladenes Klavierspiel, ihren Sinn für Romantik genauso wie für die manchmal monolithisch einfachen oder schroffen Klänge der Moderne. Und sie leistete überhaupt sehr viel, da sie nicht nur die teilweise sehr schwierigen Stücke interpretierte, die ihr alle neu waren, sondern im Grunde auch noch einen Vortrag hielt.

Über die Ursache der Missachtung und der geringen Bedeutung der Künstlerinnen sprach die feministische Aktivistin Jasmin Mittag unmittelbar vor dem kleinen Konzert unter dem Titel "Frauen in der Kunst". Das Zahlenmaterial, das sie präsentierte, ist erschreckend und zeigt, wie weit der Weg zu einer wirklichen Gleichberechtigung immer noch ist.

Vor allem wird aber deutlich, dass die Ursachen dieser Ungerechtigkeit struktureller und gesellschaftlicher Natur sind. Frauen war bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein der Zugang zur Hochschulbildung verwehrt oder zumindest deutlich erschwert - teilweise mit völlig abwegigen Argumenten, wie der Hinweis, das Gehirn der Frauen sei zu klein. Heute studieren zwar mehr Frauen als Männer in den Kunsthochschulen, geleitet werden die Einrichtungen aber zu 95 Prozent von Männern. Auf dem Kunstmarkt werden Werke von Frauen fast grundsätzlich niedriger bewertet als diejenigen ihrer männlichen Kollegen. Man könnte die Liste der Ungerechtigkeiten noch lange fortsetzen. All das macht deutlich, dass Feminismus immer noch ein wichtiges Thema ist - gerade auch im Kulturbetrieb.

DK

Jesko Schulze-Reimpell