Ingolstadt
Zerrissene Gesellschaft

Michael Feindler bei den Ingolstädter Kabaretttagen

12.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:54 Uhr
Politisches Kabarett nach Versmaß: Michael Feindler. −Foto: Foto: Leitner

Ingolstadt (DK) Zwei Stunden mit Michael Feindler sind anstrengend.

Aber sie sind auch ungemein bereichernd. Er ist der Lyriker des jungen deutschen Kabaretts, ist auch in der Poetry-Slam-Szene kein unbeschriebenes Blatt und verpackt seine Gedanken als Urenkel Erich Kästners und Eugen Roths gerne in zwar auf den ersten Blick ungekünstelt scheinende, aber eben doch kunstvoll gedrechselte Gedichte. Deren lakonische, in metrische Form gebrachte Alltagssprache funktioniert ohne und mit Gitarrenbegleitung, und zwar so gut, dass Gedichte wie "Hartz 4" und Lieder wie "Der Racheengel" zu den Highlights seines Kabaretttage-Gastspiels in der Neuen Welt zählen.

Feindler, der nie auf den schnellen Lacher schielt, dem Kalauer und Witze um des Witzes willen fremd sind, der eher zu den Ruhigen im Lande gehört, hat jedoch noch weit mehr zu bieten als das. "Lachen funktioniert dann am besten, wenn man es über einen ernsten Hintergrund tut", sagt er einmal, und so ist sein Programm "Artgerechte Spaltung" trotz des im Titel anklingenden Wortspiels folglich auch alles andere als leichte Kost und auf die leichte Schulter zu nehmen. Um die dem Homo Sapiens innewohnende Eigenschaft, alle und alles in Schubladen zu stecken und in Kategorien zu pressen geht es, alle und alles einzuteilen in Gut und Böse, Mann und Frau, Reich und Arm, Oben und Unten, Zivilcourage und Opportunismus. Vor diesem Hintergrund ist Feindler nicht eben nur Sprachkünstler, sondern auch politischer Kabarettist, auch wenn er Politiker nicht namentlich angreift und die aktuelle Horrormeldungen aus Washington oder Ankara unberücksichtigt bleiben.

Nein, Feindler ist viel subtiler. spricht von beabsichtigter Klassen-, Schichten-, ja, Kastenbildung, von der Unmöglichkeit, Vertrauen aufzubauen etwa zwischen den Superreichen und den ökonomisch Abgehängten, eine Verknüpfung herzustellen zwischen den komplett unterschiedlichen Welten, in denen die per Herkunft Bevorzugten und die Benachteiligten leben. Zwischen den Gruppen herrsche Sprachlosigkeit, sagt er. "Im Grunde kenne ich ihn gar nicht. ", heißt die finale Erkenntnis und der immer wieder geäußerte Schlüsselsatz des Programms. Und so ist es nur logisch für Feindler, dass an die Stelle der einstigen Solidargemeinschaft nunmehr der viel zitierte "Riss durch die Gesellschaft" getreten ist, die "artgerechte Spaltung" eben.

"Der Aufstieg auf der Karriereleiter funktioniert nur, wenn du dir selber die Sprossen mitbringst. " - Was für ein ernüchternder Satz, was für eine bittere Wahrheit, was für eine Pointe. Nur befreit loslachen kann man nicht über sie. Und so verlässt man den Saal nach diesen zwei Stunden eher nachdenklich als in ausgelassener Stimmung. Dafür hallen sie deutlich länger nach. Gut, dass uns die Kabaretttage auch Sonderfälle wie diesen Michael Feindler bescheren.

Karl Leitner