München
Wo bleibt die Magie?

Die Familienoper "Momo" von Wilfried Hiller wurde am Münchner Gärtnerplatztheater uraufgeführt

17.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:26 Uhr
Bloß keine Zeit verlieren: Szene mit Anna Woll als Momo im Gärtnerplatztheater. −Foto: Pogo Zach

München (DK) "Ende gut, alles gut" - diesen ziemlich ausgeleierten Spruch nach Shakespeare konnten sich die "Momo"-Macher dann doch nicht verkneifen. Natürlich wollten Komponist Wilfried Hiller und sein Librettist Wolfgang Adenberg vor dem fabelhaften Michael Ende den Hut ziehen. Ob sich der empfindsam skrupulöse Autor von "Jim Knopf" und der "Unendlichen Geschichte" daran erfreut hätte, darf man bezweifeln. So, wie er mit den diversen Bühnen- und Filmadaptionen seines Erfolgsromans "Momo" ohnehin nie glücklich war.

Doch Hiller, der sich mit Ende schon so manches Musiktheater ausgedacht hatte, wollte es noch einmal wissen. Und genauso Intendant Josef Köpplinger, an dessen Gärtnerplatztheater Endes und Hillers saftige Mär vom Waldschrat "Goggolori" über Jahrzehnte der Zuschauerhit schlechthin war. An diesen Coup kann "Momo" nicht anknüpfen. Und das hat weniger mit Adenbergs eher fadem Libretto zu tun und schon gar nicht mit Hillers versierter Musik.

Die Geschichte um ein Mädchen, das den Menschen bedingungslos zuhört und sich dafür unendlich viel Zeit nimmt, lässt sich im auf Kurzweil konditionierten Theater letztlich nicht adäquat umsetzen. Konsequenterweise ist Hillers Momo eine Sprechrolle (Anna Woll). Dass der Kleine-Hexe-Verschnitt Kinder wie Erwachsene magisch anzieht, will sich allerdings nicht erschließen.

Um diese außergewöhnliche, ja märchenhafte Gabe zu unterstreichen, fällt dem 77-jährigen Hiller leider auch nichts Bezwingendes, Soghaftes ein, wenngleich die für ihn so typische Dominanz des Rhythmus' wirklich zum Stück passt: Das Ticken der Uhr, der Pulsschlag ist allgegenwärtig. Diesen Lebensrhythmus heizen die grauen Herren mächtig an, um ihre "Zeitsparkasse" zu füllen, und wenn ihr androgyner Anführer Ilia Staple auf der Koloraturenachterbahn über aberwitzige Höhen gleitet, mag sowieso keiner mehr widersprechen. Das stellt selbst die wütende Königin der Nacht in den Schatten. Schließlich muss der Tagesplan der einst so gemütlichen Kleinstadtbewohner durchorganisiert werden. Bloß keine Zeit verlieren. Und das Grundthema der "Momo" von 1973 ist aktueller denn je. Vom Fastfoodgebrösel über der Tastatur bis zum Coffee-to-go auf dem Sprung zur Bushaltestelle.
Dennoch hält sich Regisseurin Nicole Claudia Weber von den Früchten des digitalen Zeitalters fern. Das hebt die Inszenierung ins Allgemeine, auf der anderen Seite wirkt manches doch betulich.

Die geschäftigen Zeitspekulanten mit ihren neongrell blinkenden Halskrausen (Kostüme: Tanja Hofmann) bringen horrorgestählte Kinder heute kaum mehr zum Gruseln. Dafür ist mit dem Zahnrad-verbrämten Reich des allzu exaltiert tanzenden Meisters Hora (Matteo Carvone, Choreografie Roberta Pisu) eine eindrucksvolle Schaltzentrale der Zeit entstanden (Bühne: Karl Fehringer, Judith Leikauf). Übrigens mit auffallend asiatischem Touch, das hätte dem 1995 verstorbenen Ende sicher behagt.

Und wenn der anfangs noch wie ein Gondoliere schmetternde Fremdenführer Gigi (Maximilian Mayer) zum blondierten Schlagerfuzzi im Glitzeranzug mutiert, hat das beträchtlichen Witz. Erwachsene und Kinder werden schon unterhalten.

Und Hiller kramt tief in seiner Klangkiste aus Klassik, Weltmusik und Orff, gönnt den Sängern ein paar schöne Arien, Streichern und Holz sogar ein bisschen Sehnsucht. Das bringen die Solisten und das Gärtnerplatzorchester unter der Leitung von Michael Brandstätter famos auf dem Punkt. Selbst die mausgrauen Taktzähler hätten daran ihre Freude. Aber das ist eben auch die Crux an dieser gerafften Geschichte um die Zeit.

Bleibt am Ende doch wieder das Buch, das von seinem Reiz tatsächlich nichts verloren hat.
ZUM STÜCK
Theater:

Staatstheater am Gärtnerplatz

Regisseurin:

Nicole Claudia Weber

Bühnenbild:

Judith Leikauf, Karl Fehringer

läuft bis:

18. Januar 2019

Kartentelefon:

089/2185 1960

Christa Sigg