Wo Kunst aus Kuhdung politisch ist

Online-Präsentation von "It.. Matters"der indischen Künstlerin Sheela Gowda im Lenbachhaus München

13.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:35 Uhr
Joachin Goetz
Steinfeld und und getrocknete Bildteppiche aus Kuhdung: Die Werkschau der indischen Künstlerin Sheela Gowda wird im Lenbachbau virtuell gezeigt. −Foto: Lenbachhaus, Simone Gänsheimer © Sheela Gowda

München - Lässt sich Kunst aus Kuhdung, Kokosfasern, Haaren, Weihrauch oder alten Teerfässern online ausstellen?

Schwierig. Das sieht auch der Direktor des Münchner Lenbachhauses Matthias Mühling nicht groß anders. Dennoch hat das Haus die zwei Jahre vorbereitete und bereits vor Beginn der Corona-Krise fertige Ausstellung der 1957 in Bhadravati geborenen indischen Künstlerin Sheela Gowda im Kunstbau online gestellt und virtuell eröffnet. Frei zugänglich für jeden. Wobei, wie Mühling im Gespräch mit unserer Zeitung sagte, das Wort "Vernissage" nicht so glücklich sei. Was sich freilich erst im Nachhinein herausstellte. Denn zu einer Eröffnung gehören einfach der menschliche Austausch, das Miteinander, das Gespräch über die Kunstwerke, über die Künstler, die Anwesenden - und eben auch ein gutes Glas Wein oder so was.

Dieses Erlebnis, den sozialen Event, können noch so viele inhaltlich perfekte Materialien freilich nicht ersetzen. Auf der Homepage des Museums sind Filme, Audios, viele Bilder, erklärende Texte, große Teile des vom Steidl-Verlag herausgegebenen Künstlerbuches zu finden. Außerdem die beliebte Ausstellungsbroschüre, in der die Exponate in allgemein verständlichen Sätzen beschrieben sind. Einfach alles, was es zum intellektuellen Verständnis der Kunst von Sheela Gowda braucht.

Den Gang durch die raumgreifenden Kunstwerke, die man teilweise sogar betreten kann, ersetzt das nicht. Was alle wissen. Zwar riecht Gowdas Kuhdung-Arbeit "Where cows work" auch im Original nicht so wie in jenem Rinderstall in Gröbenzell, in dem sie von bayerischen Kühen "produziert" wurde. Das Flair, der Duft, der Raum, das Ambiente im momentan menschenleeren Kunstbau lassen sich virtuell nur erahnen. Da sind diejenigen im Vorteil, die sich schon länger mit Kunst beschäftigen und den Kunstort kennen. Oder die sich - bei den Kuhdung-Arbeiten von Vorteil - spirituell ein bisschen auskennen. Denn mit den getrockneten Hinterlassenschaften der Rindviecher - im Hinduismus ist die Kuh heilig - werden in Indien nicht nur Tempel ausgeräuchert oder geweiht. Das verfeuerte Naturmaterial riecht erstaunlich angenehm, sogar im musealen Zusammenhang. Gowda, die einst als Malerin angefangen hatte, arbeitete schon in den 90er-Jahren mit Kuhmist, der in Indien auch für so profane Dinge wie Brennmaterial, Baustoff, Düngemittel oder sogar Spielzeug verwendet wird.

Gowda bemalte anfangs Leinwände damit. Während für die frisch zur Schau geschaffene 6-teilige Arbeit "Where cows walk" Rinder die Kunst auf Jute-Rechtecken kreierten. Die Idee: Kühe lassen während des Umherlaufens (und Fressens) ihre Exkremente auf die am Boden liegenden "Leinwände" fallen und hinterlassen in der weichen Masse ihre Hufabdrücke. Die daraus resultierenden getrockneten Bildteppiche sind nun im Kunstbau zu sehen.

Manch einem mag die Kuhdung-Kunst Gowdas kurios vorkommen. Für die Künstlerin ist das jedoch eine Reaktion auf die immer nationalistischere Politik in Indien. Inzwischen wird Gewalt gegen (meist muslimische) Gruppierungen, die angeblich die Heiligkeit der Kuh missachten, von einflussreichen Kreisen stillschweigend toleriert - bis hin zum Lynchmord.

Gowda sagt: "Letztendlich arbeite ich mit Kuhdung politisch. Rund um die Kuh gibt es heute viel Gewalt, man nutzt sie zur Mobilisierung. Besondere Ironie: Dass ein Symbol der Friedfertigkeit zur Ursache von Gewalt wird. "

Auch die zahlreichen anderen Werke im Kunstbau folgen einem ähnlich frappierenden, überzeugenden und immer wieder überraschend anders modifizierten Muster. Gowda verwendet Werkstoffe von unterschiedlich gearteter regionaler Bedeutung, thematisiert lokale Handwerks-Traditionen, kommentiert religiöse, politische, soziale Konflikte - und macht daraus eine sehr abstrakte, verblüffende, üppige und assoziationsreiche Kunst, die unsere globalisierte Welt schonungslos in die Mangel nimmt. Das freilich ist schon preiswürdig.

In "Darkroom" fügt sie etwa gebrauchte Teerfässer zu einem begehbaren Raum mit runden burgartigen Ecktürmen. Darüber als Abdeckung eine durchlöcherte Platte, die Sternenhimmel suggeriert. Das ist keine nostalgische Schloss-Ruine. Das erinnert an die armseligen Hütten von indischen Straßenarbeitern, die aus dem Abfall ihrer Arbeit ihre Heimstatt bauen. Klar, dass eine nur virtuelle Präsentation solcher Arbeiten auch traurig stimmt.

Dennoch war Sheela Gowda, die sich abseits des großen Galeriengetümmels bewegt, über die Eröffnung "glücklich". Schließlich war sie länger hier, um ihre erste große, retrospektiv angelegte Übersichtsausstellung in Deutschland aufzubauen. Mühling spricht von "traurig und schön zugleich". Traurig, weil man diese buchstäblich aus allen Rastern fallende aber weltweit beachtete Künstlerin nicht wie vorbereitet vorstellen kann.

Das theatralische Moment der Arbeiten muss man sich ebenso wie das haptische für später aufsparen. Man hat nun zwar überaus viel Material - kann sich allerdings nicht ins faszinierende Werk direkt, vor Ort, mit allem Drumherum vertiefen. Obwohl das Lenbachhaus viele Werke aufwendig aus Indien heranschaffte.

Schön, so Mühling, sei hingegen, so viel Stoff zur Verfügung zu haben, dass eine virtuelle Vernissage in Erwägung zu ziehen war. Da spielte ein Zufall mit. Sheela Gowda hatte 2019 den Maria-Lassnig-Preis (in Höhe von 50000 Euro) erhalten, der mit einer Einzelausstellung in der mit der Maria-Lassnig-Stiftung kooperierenden Institution verbunden ist. In diesem Falle war es das Lenbachhaus. Dafür wurde ein halbstündiger Dokumentarfilm vorbereitet, der die Künstlerin und ihre Arbeit in Indien facettenreich porträtiert. Außerdem hat man die Reden der Preisverleihung auf Video aufgezeichnet. Ganz im Stillen hofft das Museum, dass die Ausstellung demnächst doch in situ zu besichtigen sein wird. Angesichts der großen Probleme in der Welt dürfe man sich aber nicht kleinmütig beklagen.

DK


Bis 26. Juli online zu sehen unter www. lenbachhaus. de

Joachin Goetz