Ingolstadt
Wildwuchs der Klänge

Étienne M'Bappé und seine Band geben ein fantastisches Konzert im Ingolstädter Diagonal

17.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:16 Uhr
Jazzfuturist aus Kamerun: Étienne M'Bappé im Diagonal. −Foto: Foto: Erl

Ingolstadt (DK) Sternstunden in der Musik und speziell im Jazz fallen nicht einfach vom Himmel.

Für solch rare Momente braucht es die passende Location, ein aufgeschlossenes Publikum und natürlich einen Interpreten, der seine musikalischen Perlen wie Sterne funkeln lässt. Der Bassist und Sänger Étienne M'Bappé samt seinen sechs "Prophets" sind so ein Interpretengespann. Fast scheint die Bühne im Bürgerhaus Diagonal am Mittwochabend ein wenig zu klein für sie und auch der Raum mit seiner familiären Enge mag die Lautstärke der sieben Musiker kaum recht verdauen. Und dennoch: Étienne M'Bappé & The Prophets finden mit ihrer Worldmusic Fusion und ihrer Bühnenpräsenz von Beginn an den richtigen Zugang zum Publikum.

Der Jazzfuturist aus Kamerun, der mit schwarzen Seidenhandschuhen seine Basssaiten zupft, kennt das Diagonal und das Ingolstädter Publikum. Bereits bei den Jazztagen 2016 stand er hier schon mal auf der Bühne. Mit dabei sind auch diesmal die so jungen wie experimentierfreudigen Musiker aus der Pariser Clubszene. "Warum Prophets? - Warum nicht, wir bringen Freude zu den Leuten", sagt er in einem Mix aus Deutsch und Englisch.

Den Quelltopf für diese Freude lassen sie gleich von Beginn an sprudeln und bedienen sich all der musikalischen Freiheiten, die Jazz so wunderbar bietet. Das sind vor allem tempolastige Skalierungen des Balthasar Naturel mit dem Tenorsaxofon, Trompetenstöße von Arno de Casanove, ins wohlige Chaos treibende Bassequenzen des Bandleaders und ganz besonders die irrwitzigen Eruptionen des Drumers Nicolas Viccaro. Er treibt die Musiker mit seinen flammenden Stakkatos immer wieder zu einem Punkt, in dem die Instrumentenklänge wie selbständig agierend ineinander verschmelzen, nur um wenige Takte später alternativ in melodiösen Harmonien zu schwelgen.

Ungewohnt in diesem Klangspektrum ist die Violine von Clement Janinet. Diese Geige wirkt im Team der Instrumente wie ein Joker mit Überraschungseffekt. Wer hier an klassische Klänge denkt, liegt völlig daneben. Die Fiedel reiht sich ein in den wirbelnd-provozierenden Sound der Truppe, heftet sich an die Melodien aus den Bass-Saiten und funkelt dennoch mit einem schrillen Eigenleben.

Die sieben spielen sich förmlich in Ekstase und reißen sich gegenseitig hinein in den scheinbaren Wildwuchs der Klänge. Und doch agieren sie bei allen fantasiereichen Freiheiten so präzise im inneren Gefüge und nahtlos in den Feinabstimmungen wie ein streng geführtes Kammerorchester. In ihrer Worldmusic Fusion nehmen sie Klänge aus Indien, Irland und natürlich Afrika auf und formen eine musikalische Welt ohne Grenzen, in die das faszinierte Publikum bereitwillig eintaucht und solche Sternstunden zu genießen weiß.

Keine Zugabe zu geben wäre nach diesem fast dreistündigen Rausch der Klänge und Sinne eine Sünde an den Zuhörern. Étienne M'Bappé schickt sie mit einem Gutenachtlied aus Kamerun nach Hause.

Lorenz Erl