Konzert
Wechselbad der klanglichen Gefühle

Das Monet Quintett und Pianist Fabian Müller eröffneten ausdrucksstark die neue Konzertverein-Saison

20.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:32 Uhr
Aufeinander eingespielt: Anissa Baniahmad, Flöte, Johanna Stier, Oboe, Pianist Fabian Müller, Marc Gruber, Horn, Theo Plath, Fagott, Nemorino Scheliga, Klarinette. −Foto: Schaffer

Ingolstadt - Fast vier Jahre ist es her, dass der junge, hervorragende Fagottist Theo Plath den Musikförderungspreis des Ingolstädter Konzertvereins gewann. Nun kehrte er - mittlerweile Solofagottist beim hr-Sinfonieorchester in Frankfurt - mit seinem Monet Bläserquintett in den Festsaal des Stadttheaters zurück.

Dazu hatten die Künstler ein stilistisch wie emotional vielseitig überraschendes Programm konzipiert, das sich gleichzeitig für zwei Corona-konforme Aufführungen hintereinander eignete.

Warum Mozarts Klavierquintett nur verhältnismäßig selten auf der Bühne zu erleben ist, bleibt - zumal, wenn man der herrlich ausdifferenziert schwingenden Darbietung von Pianist Fabian Müller und seinen Kollegen lauscht - ein Rätsel. Stellt es doch die geniale Etablierung einer damals ganz neuen Gattung dar: Man kann es nicht nur als Kammermusik, sondern auch als eine Art Klavierkonzert verstehen, mit einem Bläserquartett als quasi harmonischem Orchester. Sogar sinfonische Bezüge lassen sich finden. All diese Welten brachte das Ensemble wie selbstverständlich zusammen.

Den derzeit erforderlichen Abstand auf dem Podium machten die Musiker mühelos durch intensiven Augenkontakt oder bewegungsbetontes Agieren wett. So konnten sie sowohl die wunderbar dialogisch gestalteten Phrasierungen dicht und nuancenreich hin und her fließen lassen als auch die besonderen Charakteristiken jedes einzelnen Instruments subtil zur Geltung bringen. Wie virtuos, elegant und ästhetisch sensibel Fabian Müller voll weicher Prägnanz den herausfordernden Klavierpart ausspielte, wie empfindsam das Quartett aus Oboe (Johanna Stier), Klarinette (Nemorino Scheliga), Horn (Marc Gruber) und Fagott (Theo Plath) den Bläsersatz in prachtvoll aufeinander abgestimmten Klangwellen zum Strahlen brachte, war pure Freude.

In völligem Gegensatz zu diesem Schwelgen in melodischen Sphären, in harmonischen Zaubereien, gehen die skurrilen, radikal atonalen, aber dramaturgisch genau durchdachten "10 Stücke für Bläserquintett" von György Ligeti an die absoluten Grenzen des Spiel- und Hörbaren. Und genau so interpretierte sie das Ensemble, zu dem sich nun noch Flötistin Anissa Baniahmad gesellte: Als regelrechte Zerreißprobe für Instrumente und Ohren, als balancierenden Drahtseilakt. Nicht umsonst hat der Komponist selbst das Werk als "Seiltänzerstücke" bezeichnet. Und die leben sowohl von der Wirkung des unmittelbaren Moments als auch von einem breiten Spektrum des Instrumentariums. Allein drei verschiedene Flöten und drei Oboenformen (samt unterschiedlichen Mundstücken!) kommen zum Einsatz.

Das Monet Quintett zeichnete die netzwerkartige Struktur der kontrastreich-komplexen Miniaturnummern eindrücklich nach, schuf eine kaleidoskophafte Abfolge von Schattierungen, Gesten und Bildern, die sich bisweilen auf wenige Töne konzentrierten. Während dann plötzlich wieder wilde, abrupte Passagen über die Zuhörer hereinbrachen, welche den voneinander unabhängigen, in ganz eigenen Rollen für sich stehenden Stimmen das Äußerste abverlangten. Ein Aufeinanderprallen der totalen Extreme - das sich vor allem gegen Ende entlud, als die schneidend-schrille Schärfe der Piccoloflöte sich zum ohrenbetäubenden Fortissimo steigerte.

Francis Poulencs Sextett für Bläser und Klavier entführte schließlich ins pulsierende Pariser Großstadtleben. Inspiriert worden war der Franzose vom Charme der Cafés, dem geschäftigen Treiben der Seine-Metrople, dem Flair der Jahrmärkte und der Nachtclubs in den 30er Jahren. Daraus kreierten die sechs Künstler mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ein mitreißendes, funkensprühendes Klangpanorama, bei dem man anfangs Autohupen, Straßenlärm, Rufe oder Pfeifen zu erkennen meinte. Immer weiter entspann sich eine wahre Ausdruckspalette an schillernden Stimmungs- und Tempowechseln. Zwischen Lachen und Weinen, zwischen Hektik und Idylle, zwischen trockener Heiterkeit und träumerischer Melancholie schienen die Gefühle permanent hin und her zu schwappen. Durch ihre sublime und zugleich energetisch aufgeladene Herangehensweise wiesen die brillanten, glänzend aufeinander eingespielten Musiker eine von Poulencs Kritikern geäußerte Behauptung, diese Komposition sei "vulgär", eindeutig als haltlos zurück. "Lebensfroh" oder "berauschend" wären hier klar die passenderen Attribute.

Nach der pfiffigen Zugabe, den zippelnd-zappelnden "Les petits nerveux" von Jean Françaix, lösten sich dann auch die letzten (den aktuellen Aufführungsbedingungen geschuldeten) Distanzblockaden im Publikum endgültig in Jubelrufe auf. Nicht nur der einstige Wettbewerbssieger Theo Plath freute sich also, wieder beim Konzertverein auftreten zu können: Mindestens ebenso glücklich waren die Zuhörer, ihn - diesmal mit seinem Monet Bläserquintett und Pianist Fabian Müller - wieder hier in Ingolstadt zu haben. Und mit den ebenso charmanten wie eloquenten Einführungen, die er vor den einzelnen Werken anstatt eines Programmhefts gab, hatte der gebürtige Dortmunder ohnehin schon von Beginn an alle erneut für sich eingenommen. Ganz wie damals beim Konzert um den Musikförderungspreis. Inzwischen natürlich künstlerisch noch reifer und souveräner.

DK