München
"Warum Bayern ein orientalisches Land ist"

Klaus Reichold räumt in seinem Buch mit bayerischen Gewissheiten auf

27.08.2021 | Stand 06.09.2021, 3:33 Uhr
Klaus Reichold. −Foto: privat

München - Überzeugte, traditionelle und allwissende Bayern müssen jetzt stark sein. Denn Klaus Reichold stellt mit seinem klugen und umfassenden Sach- und Lesebuch "Warum Bayern ein orientalisches Land ist" so manches unerschütterliche Glaubensbekenntnis infrage und rüttelt an den Grundfesten der (vermeintlichen) Gewissheiten, dass vieles, was Bayern lebens- und liebenswert macht, schon immer da war, beziehungsweise seinen Ursprung hierzulande haben muss. Nichts da!

Das Bier wurde im Zweistromland erfunden, das Christentum kam aus dem Osten, bei den Oberammergauer Passionsspielen verwandelt sich die Alpenkette ins Judäische Bergland und auf der Bühne wirbelt Wüstensand. Die für Bayern charakteristischen Zwiebeltürme, auch die der Frauenkirche, sind vom Orient inspiriert, und die 18 Meter hohe Bavaria wurde zu großen Teilen aus der Bronze türkischer Kanonen gegossen. Die Reihe der unumstößlichen Tatsachen lässt sich fortsetzen. Na, servus.

Klaus Reichold dessen Buch auch wegen seiner "subversiven" Art als eines der zehn "Besten Independent-Bücher Bayerns 2020" ausgezeichnet wurde, gelingt es, auf mehr als 170 Seiten die Geschichte Bayerns - von der Historie über die Architektur und Landschaften, Musik, Kultur, Lebensart, Brauchtum, Land und Leute - mit Bezug zu den zahlreichen globalen Einflüssen aufzufächern und zu würdigen. Fachlich dicht, pointiert und mit feinem, eher schon anarchischem Humor. Dabei ist der Kulturhistoriker ein begnadeter Erzähler, der mit Klischees spielt und eine immense Fülle an bestens recherchierte Fakten und Zitaten in seine Heimatkunde der anderen Art verpackt.

Fragen und damit Kapitel, die den preisgekrönten, subversiven Zugang belegen, sind ihm unter anderem: Warum Berlin genau genommen zu Bayern gehört? Warum Bayern nicht mehr am Mittelmeer liegt? Warum Franken und Schwaben keine Lederhosen tragen dürfen? Warum die Oberpfalz an Sibirien erinnert? Warum man in Bayern nicht mehr auf die Preußen schießen darf? Warum es im Himmel so ausschaut wie im Tegernseer Tal?

Klaus Reichold, der schon über Ottheinrich von Pfalz-Neuburg oder König Ludwig II. Bücher geschrieben hat, lässt dabei nichts aus und vergisst niemanden. Nicht die diversen Ludwigs, auch den Thoma nicht, nicht die Heimatvertriebenen und nicht die Gastarbeiter, nicht Uschi Glas oder Gloria von Thurn und Taxis, nicht Papst Benedikt XVI, nicht Gustav Adolf von Schweden, nicht den FC-Bayern, nicht Elvis Presley. Nicht helle und dunkle Seiten der Geschichte. Nicht den Fön, nicht den Grant, nicht den Widerspruchsgeist, nicht die Schlitzohrigkeit. Nicht Pförring und Ingolstadt, nicht Aichach und Neuburg, nicht das goldene Kultbäumchen der Kelten aus Manching, womöglich Vorläufer des Maibaums, und nicht Scheyern.

Am Ende des Buchs ist der Leser - Urbayern ebenso wie Zuagroaste, fremdelnde Zeitgenossen oder Bayernfreunde aus anderen Bundesländern - nicht nur viel schlauer. Reicholds Buch ist auch eine Liebeserklärung an Bayern, das seine Identität - davon ist der Autor überzeugt - daraus schöpft, das es seit Jahrhunderten Menschen, Kulturtechniken und Traditionen aus aller Herren Länder höchst erfolgreich, sagen wir einmal, vereinnahmt - aber eben auch integriert habe. Am Schluss zitiert Reichold den Kabarettisten Django Asül, der gesagt hat, dass Bayern nicht nur "einer der ältesten Staaten Europas" sei, sondern schon "immer ein Vielvölkerstaat" war.

Katrin Fehr/DK


Klaus Reichold: Warum Bayern ein orientalisches Land ist und andere weiß-blaue Wahrheiten, Edition Luftschiffer, 2020, 171 Seiten, 17 Euro.