Von Sendern und Empfängern

"Radio-Aktivität" - Die Schau im Münchner Lenbachhaus zeigt Kunst auf Basis von Brechts Radiotheorie

26.02.2020 | Stand 02.12.2020, 11:52 Uhr
  −Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

München - Der Bindestrich macht den Unterschied.

Die Ausstellung des Münchner Lenbachhauses mit dem Titel "Radio-Aktivität" widmet sich nicht tödlichen Strahlungen - sondern künstlerischen "Kollektiven mit Sendungsbewusstsein". Noch ein Wortspiel. Denn es geht um das Medium "Radio". Das vor etwa 100 Jahren in Deutschland mit ersten Testsendungen startete, ab 29. Oktober 1923 regelmäßige Programme ausstrahlte. Und in den Anfangsjahren - ähnlich wie bei allen hippen technischen Neuerungen - für einen Großteil der Bevölkerung unerschwinglich war.

Für Bertolt Brecht, dessen Radiotheorie die Basis dieser experimentellen Ausstellung mit speziellem Veranstaltungsraum und freiem Eintritt bildet, war das Radio bereits nach zehn Jahren erledigt. 1932 urteilte er: "Es ist eine sehr schlechte Sache". "Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte (?) nichts zu sagen. "

Denn, wen wundert's (wenn hauptsächlich Schön und Reich Radio hörte): Der Rundfunk wurde nicht zum Ort einer neuen politischen Öffentlichkeit, sondern diente zur Unterhaltung und angenehmem Zeitvertreib. Wiener Walzer und Kochrezept statt Aufklärung und Debatte.

Der desillusionierte Brecht schlug vor, das Medium umzufunktionieren: Der Apparat sollte nicht nur aussenden, sondern auch empfangen. Den User (wie man ihn heute nennen würde) nicht zum Hören bringen, sondern zu Sprechern und "Produsern" machen. Während der clevere Kommunist seine Überlegungen zu einem "Aufstand der Hörer" entwickelte und formulierte, wurde das Radio in Deutschland staatlich und bald zur Nazi-Propaganda missbraucht. Ende der 20er-Jahre wurde das Gerät erschwinglich, übrigens nicht durch den "Volksempfänger" sondern die damals in Steglitz ansässige Firma Loewe.

Die Ausstellung betrachtet nun politische und künstlerische Kollektive der 20er- und 60er-Jahre, die ihre eigenen Organe und Kommunikationswege schufen. Den Auftakt bilden aber die vier wichtigsten Radio-Bilder der Weimarer Republik. Kurt Günther schuf 1927 das Bild "Der Radionist", das einen bürgerlich situierten Rollstuhlfahrer zeigt, der dank der neuen Technik wieder ein Fenster zur Welt gefunden hat. Kurt Weinholds "Mann mit Radio" ist splitternackt mit Kopfhörern und demonstriert Radiohören als Zeitvertreib. Während das 1926 geschaffene "Selbstbildnis als Radiobastler" Wilhelm Heise in einem Gewirr von Rädchen, Schrauben, Verbindungselementen präsentiert. Das Thema: Viele von der Inflation Betroffene bauten sich, meist organisiert in Klubs, die Empfänger selber und hörten "schwarz" - ohne die Radiogebühr zu bezahlen.

"Der Radiohörer" von Max Radler ist indes der von Brecht geforderte aktive Hörer. Er hat Bleistift, Papier und eine Zeitung neben sich liegen und gehört zur Arbeiter-Radio-Bewegung, die sich in Verbänden und mit regelmäßig erscheinenden Zeitschriften organisierte. Man wollte ganz in Brechts Sinne das neue Massenkommunikationsmittel politisch nutzen und beeinflussen.

Wie sich das Brecht konkret vorstellte, demonstrierte er an seinen vorgestellten Hörstücken "Lindberghflug" und "Badener Lehrstück vom Einverständnis" von 1929. Diese musikalisch-szenische Gebrauchskunst ist nur mit Hilfe der Hörer realisierbar - eine gemeinschaftlich ausgeübte Kunst. Wie überhaupt für Brecht, der sich selbst freilich als singuläre individualistische "Marke" inszenierte, das Verhältnis von Kollektiv und Individuum wichtig war. Schließlich war er am liebsten in engen Arbeitsgemeinschaften kreativ. Etwa mit Helene Weigel, Kurt Weill, Paul Hindemith und anderen. Kommunikation verändern war überhaupt ein wichtiges Thema in dieser bewegten Zeit. Über Sprache wurde neu nachgedacht, über Formen anti-nationaler und internationaler Verständigung. Ein Ergebnis war etwa die von Paul Renner entwickelte Schrifttype "Futura", die in eine übernationale Zukunft führen sollte, sich weltweit verbreitete - und jetzt für die Texte in der Schau verwendet wird.

Die schon im späten 19. Jahrhundert von Ludwig Lejzer Zamenhof konzipierte internationale Sprache Esperanto wurde um 1920 zum Instrument linker politischer Vernetzung - und also von den Nationalsozialisten verboten. Außerdem erfährt man auch, dass der argentinische Künstler Xul Solar die Sprache "Neocriollo" (neu-kreolisch) entwickelte, gedacht als gemeinsame Sprache für Lateinamerika.

Das letzte Kapitel der Schau widmet sich den 60er- und 70er-Jahren, als Brechts Radiotheorien wieder intensiv diskutiert wurden. Schrankenlose und herrschaftsfreie Kommunikation begeisterte internationale Bewegungen wie die Antipsychiatrie oder die Situationistische Internationale SI.

Zu lesen an Sitzpulten sind die sechs Ausgaben der Zeitschrift "The Situationist Times". Herausgegeben wurde sie von der Münchner Gruppe "Spur" - die allerdings zuvor aus der SI ausgeschlossen wurde. Die Themen kreisten um die utopische Zusammenführung des Individuums mit dem Kollektiven.

Ketty La Rocca und befreundete Kunstschaffende wie Tomaso Binga und Betty Danon wollten in den 70er-Jahren durch neue Formen des Schreibens und der Sprache feministisch auf die gesellschaftliche Realität einwirken. La Rocca hatte zuvor plakativ protestiert und festgestellt, dass Frauen eine Sprache verwenden müssten, die ihnen fremd und feindlich gesinnt ist. Und damit Deklarationen ihr Ziel verfehlen.

DK


Radio-Aktivität im Lenbachhaus München, bis 23. August, Öffnungszeiten : Dienstag, 10 bis 20 Uhr, Mittwoch bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen. Mehr unter: www. lenbachhaus. de.