Von Hund bis Wellensittich

Matinée am Sonntag im Stadtmuseum Ingolstadt stellt zum Todestag der Dichterin Marieluise Fleißer deren literarische Tierwelt in den Mittelpunkt

30.01.2020 | Stand 23.09.2023, 10:16 Uhr
Martina Neumeyer hat die Lesung konzipiert. −Foto: privat

Ingolstadt - Die Erzählungen tragen Titel wie "Der Hund", "Von Pardelbären, Wickelbären, Kusimansen" oder "Der Wellensittich" und gehörten wohl nicht zu jenen Werken, die die Ingolstädter Dichterin Marieluise Fleißer (1901-1974) als die wichtigsten ihres Gesamtwerkes angesehen hat.

Doch gerade ihre "erschriebenen Tiere" geben der Lesung mit Musik und Bild am Sonntag, 2. Februar, um 11 Uhr im Barocksaal des Stadtmuseum Ingolstadt nicht nur den Titel, sondern stehen im Mittelpunkt der Matinée zu Fleißers Todestag.

Zusammengestellt hat die Texte die promovierte Eichstätter Literaturwissenschaftlerin Martina Neumeyer, die sich seit 2006 intensiv mit Leben und Werk der Fleißer auseinandersetzt, seit 2006 Ausstellungen kuratiert, für die Ingolstädter Marieluise-Fleißer-Gesellschaft die Bibliografie fortschreibt und Lesungen um Fleißer organisiert. In ihrer Auswahl beleuchtet sie sowohl die Fleißer unter neuen Aspekten als auch deren Zeitgenossen und verbindet so Geschichte mit dem Heute.

"Marieluise Fleißer war eine im modernen Sinne Netzwerkerin, gebildet, belesen und mit vielen Kontakten in die Literatur- und Kulturszene eingebunden", sagt Martina Neumeyer im Gespräch mit dem DK. "Sie wusste, was gerade angesagt war, was wo stattfindet, hat es rezipiert und sich auf höchst originelle Weise anverwandelt. " So sei das Thema Tiere in ihrem Werk nicht zufällig. Marieluise Fleißer kannte als gute Gymnasialschülerin die antiken Texte, beispielsweise Aesop, Aristoteles, der als Vater der Zoologie gilt, Plinius der Ältere, der Tiere von der Biene bis zum Elefanten beschreibt, ebenso wie die Märchen der Gebrüder Grimm und die Fabeln von La Fontaine. In den 20er-Jahren waren Hunde angesagt, war der Besitz eines Rassehundes Mode. Tiere waren Thema in Publikumszeitschriften. Aber auch Literaten wie Thomas Mann haben sich mit Tieren beschäftigt. So schreibt Mann in "Idyll" (1919) ein Porträt seines Hundes Bauschan. In Erich Maria Remarques Roman "Station am Horizont" (1927/28) lässt dieser den Protagonisten Kai bei einem Rennen wegen zweier Hunde bremsen. Überdies hat Kai eine Dogge als Begleiterin. Tiere wie die Wölfe sind als Figuren aus Jack Londons "Wolfsblut" oder die Pferde bei Karl May, "Hatatitla" von Old Shatterhand und "Iltschi" von Winnetou bekannt. Auch Marieluise Fleißer sei in dieser Zeit "auf den Hund gekommen", so Neumeyer: Durch einen Rentenvertrag des Ullsteins-Verlages, den Marieluise Fleißer nach der Uraufführung ihres "Fegefeuer in Ingolstadt" (1926) erhielt, schrieb sie von Sommer 1926 bis 1927 insgesamt 16 Prosatexte für die zum Ullstein-Presse-Imperium gehörende "Magdeburgische Zeitung", die 1926 ihren Kulturteil erweitert hatte. Der erste Text hieß zunächst "Kameraden", dann "Der Hund".

Darin stellt Marieluise Fleißer den Hund in seiner Doppelbedeutung als Begleiter und Bedroher dar und benutzt ihn als Spiegelbild einer Paarbeziehung. Während der nächtlichen Begegnung mit dem Hund beschwichtigt der Mann dessen Aggression und empfiehlt sich durch dieses zärtliche Verhalten zum Freund der Frau. "Die Fleißer bezieht die Tiere auf ihr großes Thema, die Beziehung zwischen Mann und Frau", sagt Neumeyer. "Das ,Fegefeuer' schrieb sie als ein Stück über ,das Rudelgesetz unter den Menschen', was wiederum den Wolf assoziiert". Über ihre langen Jahre des Schweigens schreibt Fleißer 1949 in einem Brief an einen Freund: ". . . mein literarischer Gaul ist störrisch geworden". Und bringt ihn ab 1949 wieder zum Laufen mit den Erzählungen "Die Jungfrau und das Pferd" und "Er hätte alles besser verschlafen".

Neumeyer ergänzt: "Marieluise Fleißer kennt Tiere von der privaten Anschauung. Sie weiß um die Bedeutung der Tiere und deren symbolische Aufladung in der Literatur und verwendet dies pointiert und absichtsvoll . " Wobei die Fleißer - überaus selbstkritisch - bei der Werkauswahl unter anderem weder ihre Beiträge für die "Magdeburger Zeitung" - "das war für sie finanziell wertvolle, aber literarisch wertlose Zeitungsarbeit, nur dazu angetan, sie bekannter zu machen" - noch Erzählungen wie "Der Wellensittich" berücksichtigen wollte. "Dabei haben diese Arbeiten für die Zeitung einen besonderen Zauber, eine Frische, unglaubliche Unverstelltheit und besondere Sprache. " Deshalb will Neumeyer solche Schätze dem Publikum zugänglich machen: "Mir geht es darum, die Fleißer in ihrer Vielseitigkeit, in ihrer Vielschichtigkeit, in ihrer Vernetztheit bekannt zu machen. Sie ist eine Persönlichkeit von außergewöhnlichem Format. " So entstehen Ausstellungen oder Lesungen, die, begleitet von Musik und Bild und durch Vorleseprofis wie Stadtrat Manfred Schuhmann unterhaltsam sind. "Tiere sind noch heute ein Faszinosum. Doku-Soaps, fiktionale TV-Tierserien oder Fotos im Internet zeugen davon. Sie sind ein attraktives Thema. Es lohnt sich zu erfahren, wie die Schriftstellerin aus Ingolstadt das umgesetzt hat", sagt Neumeyer.

DK

Literarische Tierwelten der Moderne . . . und mittendrin Marieluise Fleißers "erschriebene" Tiere. Lesung am Sonntag, 2. Februar, um 11 Uhr im Barocksaal des Stadtmuseums Ingolstadt im Kavalier Hepp.

Barbara Fröhlich