Ingolstadt
Verleihung des Marieluise-Fleißer-Preises im Ingolstädter Festsaal

"Mehr Fleißer ohne Brecht!"

21.11.2021 | Stand 23.09.2023, 21:55 Uhr
Gratulierten der Preisträgerin Ines Geipel: Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll (links) und Kulturreferent Gabriel Engert. −Foto: Nassal

Ingolstadt - Die Verleihung des Marieluise-Fleißer-Preises fand am Sonntag im zweiten Corona-Pandemie-Jahr unter besonderen Umständen statt: Im Festsaal des Stadttheaters, nicht öffentlich, um die Vertreterinnen und Vertreter der Fleißer-Preis-Jury, des Stadtrates und weiterer politischer Amtsträger, Mitglieder der Fleißer-Gesellschaft Ingolstadt sowie Freunde und Familie der Preisträgerin Ines Geipel in weitem Abstand und Masken tragend zu platzieren.

Wie gewohnt mit musikalischer Begleitung - die Jazzförderpreisträgerin Birgit Zinner hatte gemeinsam mit Adél Kövécs (Klavier) zwei Blues-Titel und das "Take it All" von Adele ausgewählt -, Laudatio durch den Leiter des Literaturhauses Frankfurt, Hauke Hückstädt, und abschließend Rede der Preisträgerin.

Zum 17. Mal und seit 1981 ehrt die Stadt Ingolstadt ihre große Tochter mit diesem Preis, sagte Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll zur Begrüßung und erinnerte daran, dass sich die Stadt selbst mit Marieluise Fleißer lange aufgrund ihrer realistischen Beschreibung der Enge der Heimat und der gesellschaftlichen Zwänge schwer getan habe. Mit dem Fleißer-Preis und dem neu renovierten Fleißer-Haus aber fördere die Stadt die Auseinandersetzung mit Marieluise Fleißer und ihrem Werk.

Am Sonntag, zwei Tage vor dem 120. Geburtstag Marieluise Fleißers (1901-1974) am 23. November, werde mit Ines Geipel eine Schriftstellerin geehrt, die "im Sinne von Fleißer mit literarischer Genauigkeit die Wirklichkeit auslotet", sagte Deneke-Stoll und überreichte Geipel die Urkunde zum mit 10000 Euro dotierten Preis in "Anerkennung ihrer schriftstellerischen Leistungen und für ihr herausragendes Gesamtwerk", mit welchem sie "das Nachdenken über die Teilung Deutschlands und den Folgen, sich gegen das Verschweigen und Verdrängen wende" ebenso fördere wie sie dazu beitrage, dass sich die Menschen durch "stetiges Selbstbefragen und einander Erzählen besser verstehen".

In seiner Laudatio schlug Hauke Hückstädt (Jahrgang 1969) ebenso wie Ines Geipel in der DDR geboren und bis zu seiner Übersiedelung 1984 nach Hannover auch Sportler, ein Ruderer, den Bogen vom Sport zur Literatur. Hier das Schnelle, dort beim Schreiben das Langsame. Er lobte Geipel als eine Frau, die auf Fragen keine bequemen Antworten gebe, die selbst frage und Wert auf Genauigkeit lege und deshalb unbedingt poetisch sei. Denn: "Poesie ist genaues Sprechen". Sie schreibe in einer Sprache, der Hückstädt etwas "Lügendetektorisches" bescheinigte. Und damit rufe sie auch Widerspruch hervor.

Auf diesen ging Ines Geipel nach ihrer Dankesrede kurz ein, die sie als Brief an Marieluise Fleißer verfasst hatte, der viele Fragen beinhaltet. "Liebe Marieluise, was sind 100 Jahre?", begann sie und "Ist unsere Zeit eine andere?". Geipel erzählte von der Reaktion der Studierenden der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin auf Figuren der Fleißerstücke. Sie erinnerte daran, wie Bertold Brecht sich der Fleißerstücke bemächtigt hatte, zitierte aus Briefen Fleißers, fragte, warum sie nicht stärker eingeschritten sei - gegen Brecht, gegen die Anfeindungen aus ihrer Heimatstadt. Und ging in den Erzählungen Marieluise Fleißers auf die Suche der Dichterin, ihrer Sprache und Kunst und forderte: "Mehr Fleißer ohne Brecht!"

DK

Barbara Fröhlich