Münchens bester Konzertsaal
Unspektakulär, preisgünstig und gelungen: Die Münchner Philharmoniker eröffnen die Isarphilharmonie

11.10.2021 | Stand 23.09.2023, 21:14 Uhr
Warm verschmelzen die symphonischen Klänge: Die Isarphilharmonie ist ein gelungener Konzertsaal. −Foto: Kneffel, dpa

München - Für den Politiker ist der Saal schlichtweg eine "Sensation". So zumindest äußerte sich Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter bei der Eröffnung der Isarphilharmonie.

Aus seiner Perspektive ist das naheliegend. Die Ersatzspielstätte für die Philharmonie im Gasteig in einem ehemaligen Kraftwerk kam ohne Kostensteigerungen aus. Nicht mehr als 40 Millionen Euro hat der Saal gekostet. Planmäßig wurde das Konzerthaus von Gerkan, Marg und Partnern fertiggestellt in kaum mehr als anderthalb Jahren Bauzeit. Und: Er habe für die Isarphilharmonie "einhellig nur Lob bekommen". Das passiere einem Politiker auch nicht alle Tage. Begeistert sind auch die Musiker der Münchner Philharmoniker, die sich dort "wie auf einer Insel der Glückseligen" fühlen. Das jedenfalls verkündeten sie nach den ersten Proben.

Nun geht es ums Publikum. Am Wochenende eröffneten die Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Valery Gergiev den Saal. Ein wichtiger Probelauf für die Zukunft. Denn es geht um viel dabei. In München werden gerade zwei weitere Säle gebaut oder zumindest so grundlegend saniert, dass man fast schon von einem Neubau reden könnte: Die Philharmonie im Gasteig (Kostenrahmen: 470 Millionen Euro), außerdem soll im Münchner Osten das vermutlich beste Orchester der Stadt, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, erstmals überhaupt ein eigenes Konzerthaus erhalten (geschätzte Kosten: 750 Millionen Euro). Je nachdem, wie überzeugend die Isarphilharmonie als Ort für klassische Musik taugt, könnte sich die Politik entscheiden, einen der geplanten Konzertsäle einzusparen. Schon jetzt wird viel darüber geredet, dass die Isarphilharmonie ein viel zu eindrucksvoller Bau sei, um sie nur für ein paar Jahre als Provisorium zu nutzen.

Gergiev ist bei der Saal-Premiere auf Nummer sicher gegangen: Er hat Werke in Großbesetzung ausgesucht, symphonische Extrem-Literatur, die durch ihre Klangfarbigkeit, durch die imposante Lautstärke eindrucksvoll ist - und zwar fast in jedem Saal. Das Publikum soll in einem Großangriff auf die Gehörgänge überzeugt werden - eine pure Materialschlacht. Ob Werke in kleinerer Besetzung, mit weniger üppigem Klangfarbenspektrum, vielleicht sogar Kammermusik in dem Saal wirken, war am ersten Abend kaum auszumachen.

Konzertprogramm der Extremsymphonik

Gergiev begann den Abend mit einer Uraufführung von Thierry Escaich, einem der besten französischen Organisten überhaupt, der auch regelmäßig im Ingolstädter Münster Konzerte gibt, oder improvisiert. Sein "Araising Dances" ist wie überdrehte Filmmusik, beginnt im Genre Horror und wechselt allmählich in die Abteilung Katastrophenfilm. Das zweite französische Klangfarbenwunder war Henri Dutilleuxs "Métaboles", ein Meisterwerk, bei dem gut beobachtet werden konnte, wie jede Instrumentengruppe wunderbar in diesem neuen Saal zur Geltung kommt: die Streichervariationen genauso wie die Holzbläser und das Blech, die jeweils einzeln hervortraten. Der inzwischen 89-jährige russische Komponist Rodion Shchedrin wurde gefeierte, als sein abgehoben mystisch strömender "Versiegelter Engel" vom Philharmonischen Chor München in Begleitung einer Flötenstimme erklang. Den Abschluss bildete der philharmonische Wirkungsknaller schlechthin, Maurice Ravels "Daphne et Chloé". Hier leuchteten die Flöten, donnerte das Blech, die Streicher verbreiteten Samt-Feeling. Etwas enttäuschend dazwischen noch das Solokonzert des Abends, Beethovens viertes Klavierkonzert mit Daniil Trifonov am Flügel. Hier spielten zwei Künstler aneinander vorbei. Trifonov bot hochkarätige Klavierkunst, hochdifferenziert bis in die letzten Winkel die Partitur ausgeleuchtet, während Gergievs Philharmoniker daneben flaches Orchester-Einerlei produzierten. Das war allerdings kein Mangel der Saalakustik des berühmten Yasuhisa Toyota.

Alles gut also? Keine Frage, die Isarphilharmonie ist Münchens bester Konzertsaal. Aber die Konkurrenz ist in der Stadt leider nicht besonders stark. Der Herkulessaal ist für die Kolossalsymphonik des 20. Jahrhunderts schlicht zu klein, der Gasteig hingegen zu groß, gerade die tiefen Töne verlieren sich in der Weite des Raums.

Die Isarphilharmonie klingt eigentlich genau so, wie man es für einen Saal dieser Form und Größe im besten Fall erwarten kann. Die Schuhkartonform führt dazu, dass deutlich erkennbar ist, aus welcher Richtung die Musik kommt, man fühlt sich allerdings in Reihe 20 nicht unbedingt umhüllt von Klängen. Bei den lautesten Stellen etwa bei Escaichs Uraufführung gerät auch dieser Raum in die Gefahr der Übersteuerung. Alle Instrumente sind gut zu orten, aber die Akustik ist nicht so übertrieben analytisch wie die Elbphilharmonie, wo jedes Husten bereits eine klangliche Katastrophe ist und die einzelnen Stimmen sich nur schwer zu einem Ganzen verbinden wollen. In Münchens neuem Konzertsaal hingegen verschmelzen die Instrumente, der Klang ist angenehm, fast dunkel getönt, musikalisch schwingend.

Aber: Es gibt natürlich auch hier Grenzen des Wohlklangs. Trifonovs Zugabe, Bachs Choral "Jesu meine Freude" in einer Klavierfassung von Wilhelm Kempf, spielte der Pianist mit wahrhaft magischer Klanggewalt - aber hier war der Saal mit seinen fast 1900 Gästen bereits fast zu groß, zu verschwommen der Nachklang, um die Töne trennscharf wahrzunehmen. Und doch: Der Saal vermag verblüffend die enorme Dynamik dieses Pianisten abzubilden.

Ein Musikort, aber kein Kulturtempel

Die Isarphilharmonie ist kein Wundersaal, kein pompöser Kulturtempel, und doch ein Glücksfall für München. Auch weil deutlich wird, wie niederschwellig, uneitel und kostenbewusst klassische Musik dargeboten werden kann. Wie wenig der schnöde Betonboden, die schlichte blaue Blechverkleidung im Foyer, das unbehandelte Holz an den Wänden dort stört, wenn es einfach nur um gute Musik geht. Wie Klassik ohne viel Gewese und Gehabe, vor allem ohne den Anspruch zur bürgerlichen Repräsentation an unscheinbarem Ort in Sendling zur Hochform auffahren kann. Es braucht doch sehr wenig - für gute klassische Musik.

DK


Das Konzert kann als Stream in der BR-Mediathek angesehen werden.

Jesko Schulze-Reimpell