Ingolstadt
"Unser Fortschritt ist ein Rückschritt"

Sebastian Pufpaff stellt sich in seinem Programm "Wir nach" den entscheidenden Fragen unserer Zeit

27.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:45 Uhr
"Ich erkläre Ihnen das mal an einem Beispiel!": Sebastian Pufpaff im Ingolstädter Festsaal. −Foto: Leitner

Ingolstadt (DK) Was für ein Ekel!

Man könnte richtig wütend werden, wenn man ihn da so reden hört. Kein Respekt vor nichts, kein Funken Anstand. Ein Kinderhasser, ein Sexist, einer, der Menschen nur als Ware und Jongliermasse ansieht. Und er schämt sich nicht mal dafür. Sebastian Pufpaff steht auf der Bühne des Theaterfestsaals und spielt als Nachschlag zu den diesjährigen Kabaretttagen sein Programm "Wir nach". Natürlich sind die Ekeltype, der Sozialkrüppel und der egomane Fiesling nur Rollen. In die freilich schlüpft er, wie er da so bieder geschniegelt und krawattiert herumschwadroniert, dermaßen überzeugend, dass man sich vor allem zu Beginn seines Auftritts selber dabei ertappt - wohlweißlich gut behütet in der Anonymität des Auditoriums - , Hassgefühle zu entwickeln. So entstehen Shitstorms.

Offensichtlich krankhaft Gestörte wie die Kunstfigur Pufpaffs werden im Alltag - nachdem sie komplette Kollegien vergiftet haben - in der Regel nach oben wegbefördert. Dann hat zwar die Basis ihre Ruhe, aber irgendwann sitzen sie, wenn nicht vorher jemand die Notbremse zieht, an den Schalthebeln der Macht. So entstehen Tyranneien und Diktaturen. Pufpaff kündigt zwar zu Beginn des Programms an, er wolle ganz bewusst keine Politikernamen nennen, aber man weiß ganz genau, wen er meint. Beide seien blond, einer habe eine Sturm-, der andere eine Entenfrisur. Pufpaff reitet auf der Schneide einer Rasierklinge, denn es gibt durchaus Stellen im Programm, da vertritt er das Ekel derart überzeugend, dass man sich als Zuhörer dabei ertappt, ihm in gewisser Hinsicht Recht zu geben.

Man muss sich eingestehen, dessen Prinzip der selektiven Wahrnehmung in gewissen Situationen durchaus schon mal zu seinem eigenen gemacht zu haben und dessen populistische Tiraden gar nicht mal so übel zu finden. Pufpaff weiß das. Äußerst geschickt pendelt er hin und her zwischen dem Ekel und dessen scharfzüngigem Ankläger. Der dadurch erzeugte Schwebezustand zwischen dem Gesagten und dem tatsächlich Gemeinten ist ungemein spannend. In der Tat, den Spagat zwischen der Realität und der satirischen Beschäftigung mit ihr kriegt er glänzend hin.

Als Erzeuger von Lachsalven ist er sowieso ein Ass. "Ich erklär Ihnen das mal an einem Beispiel", sagt er immer wieder. Wobei man sich dann für die nächsten Minuten nur noch kringelt vor Vergnügen.

Entscheidend aber sind die Stellen, an denen man innehält. Etwa ganz zum Schluss, als Pufpaff ansetzt zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr politisches und soziales Engagement, für das Ausschalten des Berieselungsmodus und das Einschalten des eigenen Gehirns, gegen die Philosophie des Konsums und blinde Digitalisierungsgläubigkeit. "Wir gehen auf eine Zombieapokalypse zu", sagt er. "Hirntote übernehmen zusehends die Macht. " Und: "Unser Fortschritt ist ein Rückschritt. Wir sind auf dem Weg ins Mittelalter. Nur dass die Prangerisierung und die Hexenjagd jetzt bei Twitter und Instagram stattfinden. " - Chapeau, Herr Pufpaff!

Karl Leitner