Neuburg
Triumph über die Schwerkraft der Noten

Raphaela Gromes gibt zusammen mit Wen-Sinn Yang und Julian Riem ein Benefizkonzert in Neuburg

18.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:04 Uhr
Raphaela Gromes reißt alle mit: Die Cellistin spielt zusammen mit Wen-Sinn Yang und Julian Riem (Klavier). −Foto: js

Neuburg (DK) Raphaela Gromes ist eine Erscheinung. Allein wenn sie die Bühne betritt, ins Publikum strahlt, ihre Kollegen mit einem Lächeln miteinbezieht und dabei Freundlichkeit, gute Laune und Spiellust vermittelt, bereits da ist das Publikum verzaubert. Aber wirklich fasziniert sind die Besucher im Neuburger Kongregationssaal, wenn sie zu spielen beginnt.

Die Münchner Cellistin gibt zusammen mit ihrem ständigen Klavierbegleiter Julian Riem und ihrem ehemaligen Professor an der Musikhochschule, Wen-Sinn Yang, ein Benefizkonzert für den Verein Elisa, der sich um chronisch kranke und krebskranke Kinder kümmert. Auf dem Programm stehen meist Werke, mit denen Raphaela Gromes bereits große Erfolge feiern konnte, etwa mit ihren beiden letzten CDs, die dem Schaffen Gioachino Rossinis und Jacques Offenbachs gewidmet sind.

Spannend ist an dem Abend besonders, zwei wirklich hervorragende Cellisten zu erleben - die doch so unterschiedlich spielen. Deutlich wird die Verschiedenheit bereits bei den ersten beiden Werken des Abends, die "Meditation" von Eugéne Ysaye, gespielt von Yang, und der zweiten Cellosonate von Felix Mendelssohn Bartholdy mit Gromes. Yang ist ein großartiger Solist. Wenn er den Ysaye vorträgt, dann kann sein Ton so schneidend, grell und deutlich sein, dass er sich gegen jedes Symphonieorchester behaupten könnte. Der ehemalige Solocellist der BR-Symphoniker betont bei dem Werk weniger die poetische Klangfinesse als die Dramatik im Schlussteil. Das klingt wunderbar - und ist doch ganz anders als Raphaela Gromes' Zugang.

Bewunderungswürdig an ihrem Mendelssohn ist vielleicht die Lebensfreude, die diese Musik vermittelt. Gromes scheint immerzu nach vorne zu drängen, wirkt ungemein agil, fast unruhig, gibt jeder Phrase einen besonderen Charakter. Julian Riem begleitet das sehr kompetent am Klavier, wird jedoch eher vom Energiebündel Gromes mitgerissen, als dass allzu viele eigene Impulse von seinen schwarz-weißen Tasten ausgehen.

Ganz deutlich treten die Unterschiede zwischen den beiden Cellisten bei Offenbachs Duo Nr. 6 hervor, das die Künstler wohl ganz bewusst ins Zentrum des Konzertprogramms platziert haben. Offenbachs zweisätziges Werk wirkt wie die Essenz einer Operette, ist gleichermaßen humoristisch, mitreißend, dramatisch, betörend. Belcanto für Cellos. Die beiden Musiker müssen Orchester und Gesangsstar gleichermaßen verkörpern. Und das gelingt - mehr oder weniger. Als das Publikum hingerissen von dem virtuosen und melodischen Drive bereits nach dem ersten Satz klatscht, sagt Yang, dieses Duo habe auch "den Nachteil, dass es besonders schwer ist". Zweifellos. Die beiden Cellisten müssen in bester Violinlage das Cello zum Leuchten bringen, als wären sie Starsopranisten der Staatsoper, mit größter Leichtigkeit und Koloraturenseligkeit. Das klappt nicht ganz ohne kleine Patzer, und ist doch einfach umwerfend, weil es so berückend gelingt, die Schwerkraft unserer physischen Bedingtheit scheinbar zauberisch leicht außer Kraft zu setzen, bis das Publikum nur noch staunt über so viel melodiöse Eloquenz. Aber auch hier die Unterschiede: Yangs herber Ton dringt männlich und faszinierend manifest in den Saal, während Gromes wirklich auf dem Cello singt, voller Wärme, voller Nuancen, einfach magisch.

Die weiteren Werke des Abends bestätigen den Eindruck: die wunderbare "Hommage à Rossini" von Offenbach ist ebenso quirlig melodisch-virtuos wie die einzige Cello-Originalkomposition des Italieners "Une Larme". Ganz viel spätromantischen Schmelz (im ersten Satz) und viel neobarocken Humor verströmt Yang bei Leone Sinigaglias "Romanza e Homoresque". Und alle drei Musiker treten noch einmal mit Alfredo Piattis "Serenade für zwei Celli" auf - ein enorm effektvolles, kantables Werk.

Aber kaum etwas reißt das Publikum so mit, wie ganz am Ende die Zugabe: die "Barcarolle" aus Offenbachs "Les Contes d'Hoffmann" (bearbeitet von Julian Riem). Wie sich hier die beiden Cellisten die Bälle zuwerfen, wie sie sich gegenseitig anstacheln, wie sie in einen leicht wiegenden Traum des Schönklangs verfallen - einfach nur atemberaubend. Bravos und endloser Applaus für einen sehr langen, aber kurzweiligen, hochmelodiösen, humorvollen Konzertabend.

Jesko Schulze-Reimpell