Symphonik im Corona-Format

Raphaela Gromes, Julian Riem und das Arcis Saxophon Quartett beim Konzertverein Ingolstadt

11.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:05 Uhr
Einzigartige Besetzung: Die Cellistin Raphaela Gromes und der Pianist Julian Riem spielten mit dem Arcis Saxophon Quartett. −Foto: Schaffer

Ingolstadt - Besser hätte es nicht laufen können: Das erste Nachholkonzert des Konzertvereins, das auch zugleich das erste klassische Konzert überhaupt in der neuen Saison ist, wirkt, als wäre es speziell für die Corona-Krise konzipiert worden.

Denn die Künstler spielten große Orchesterwerke in verkleinerter Besetzung. Stücke wie das erste Cellokonzert von Camille Saint-Saëns, "Rhapsodie Espagnole" von Maurice Ravel oder "Rhapsodie in Blue" von George Gershwin wären unter den strengen Hygieneauflagen mit ihren großen Abstandsregeln auf der Bühne des Ingolstädter Festsaals überhaupt nicht erlaubt gewesen. In der reduzierten Fassung für Saxofon-Quartett, Cello (und Klavier), die der Pianist Julian Riem arrangierte, sind sie kein Problem.

Natürlich, über einem solchen Programm schwebt ein Generalverdacht, gerade in diesen Zeiten: der des faulen Kompromisses. Eigentlich würde man ja gerne die große Orchesterliteratur aufführen, aber, wegen Corona musste man es anders machen. Ein wenig beruhigend ist es da zu wissen, dass das Programm bereits lange vor der Seuche gestaltet wurde. Die Musiker, sie wollten genau so spielen, unabhängig von Corona.

Nun, wie klingt Saint-Saëns also für Saxofon? Anders! Das 1840 von Adolphe Sax erfundene Instrument ist vielleicht besser als jedes andere dazu geeignet, das Cello zu begleiten. Es produziert einen homogenen, ziemlich weichen Klang - ein bisschen wie ein Streichorchester. Er hebt sich zugleich wuchtig und kraftvoll vom Cello ab. Dass die Blasinstrumente in den verschiedenen Tonhöhen viel lauter sind als das Streichinstrument, ist kein echter Nachteil. Denn auch große Symphonieorchester bieten mehr Klangfülle als der Solostreicher. Allenfalls mit der Farbigkeit des Klanges können die Saxofonisten nicht mithalten. Der Vorteil der kleinen Besetzung ist aber ein anderer: Im besten Falle kann sich ein spontanes kammermusikalisches Musizieren entwickeln.

Das allerdings war bei der Saisoneröffnung des Konzertvereins über weite Strecken zu wenig zu spüren. Das Arcis Saxophon Quartett umringte beim ersten Stück die Cellistin Raphaela Gromes, die auf einem Podest sitzend fast auf Augenhöhe mit den anderen Musikern spielte. Trotz aller Abstandsregeln - Möglichkeiten für besondere Interaktionen hätte es genug gegeben. Raphaela Gromes versuchte auch immer wieder, den musikalischen Spielball an die Saxofon-Formation weiterzugeben. Die allerdings musizierten souverän, aber ein wenig zu geschlossen und etwas zu pauschal laut, fast so als würde ihnen ein Dirigent fehlen. Vergnügen bereitete der Konzerteinstieg dennoch: Denn was dem "Orchester" an Differenzierungsvermögen fehlte, das gelang Raphaela Gromes bestens: Sie war Herz und Seele des Geschehens, musizierte mit überbordender Romantik, ließ ihr Instrument heulen und singen, die Schleusen der Emotionen öffnete sie weit. Und fügte sich dabei bestens in den Saxofon-Klang ein. Immerhin ist das Saint-Saëns-Konzert so fantastisch komponiert, dass die laute Orchesterbegleitung dem Cello immer Freiräume gewährt.

Anders das zweite Werk des Abends: die "Rhapsodie espagnole", bei der nun auch der Pianist Julian Riem dazutrat. Ravel hatte das Werk zunächst für Klavier komponiert und später rauschhaft effektvoll für Orchester instrumentiert. Klangfarben sind bei diesem Werk fast alles. Die andalusischen Tänze und Melodien werden wie in einem Zerrspiegel dargestellt.

Den sechs Musikern gelang es erstaunlich gut, diese gespenstischen Nachttänze, diese Volksmusik auf Droge darzustellen. Gromes grummelte fahle Tremolos auf dem Cello, die Saxofone quäkten schräg und das Klavier klirrte irre. Und am Ende gelang dem unorthodoxen Ensemble sogar eine beeindruckende Schlusssteigerung.

Und auch die "Rhapsodie in Blue" war ein Vergnügen zu hören, allerdings hauptsächlich, weil Julian Riem den Klavierpart mit solcher Übersichtlichkeit und Ruhe anging und so viel klangliche Fantasie bewies. Bei ihm ist Gershwin weniger Jazzer als klassischer Komponist.

Am Ende spürte das Publikum wieder die Einschränkungen durch die Corona-Epidemie: Der Beifall klang schütter. Atmosphäre entwickelte sich in dem spärlich besetzten Saal nur schwer. Es gab keine Pause und keine Programmhefte. Letzteres allerdings war vielleicht auch ein Vorteil. Denn die Künstler stellten sehr authentisch selber ihr Programm vor, erzählten Geschichten und was sie an den Stücken besonders beeindruckt. Eine Bereicherung, von der wir uns wünschen, dass sie auch in der Nach-Corona-Zeit erhalten bleibt.

DK

Jesko Schulze-Reimpell