Ingolstadt
Sternstunde des Liedgesangs

Der Tenor Martin Mitterrutzner und der Pianist Gerold Huber gastierten beim Konzertverein Ingolstadt

28.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:25 Uhr
Perfektes Duo: Martin Mitterrutzner und der Liedpianist Gerold Huber im Festsaal. −Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Sängerinnen oder Sänger machen es sich leichter, wenn sie einige der großen und berühmten Liederzyklen vortragen - etwa die "Winterreise" von Franz Schubert oder von Robert Schumann die "Dichterliebe". Dann ist von vornherein ein Thema, ein größerer Zusammenhang gegeben.

Die unterschiedlichen Lieder erzählen oft bereits eine Geschichte oder veranschaulichen zumindest eine Lebenshaltung, eine Stimmung, die von unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Schwieriger und ambitionierter ist es, wenn Liedinterpreten darauf verzichten, wenn sie eine selbst erstellte Sammlung unterschiedlicher Lieder verschiedener Komponisten zu einem Ganzen arrangieren. Und das nicht einmal unter einem bestimmten Titel. Die Gefahr besteht, dass der Zusammenhang verloren geht, dass lediglich ein Sammelsurium beliebiger schöner Lieder erklingt - was natürlich auch überzeugend sein kann, wenn die Interpretationen ein hohes Niveau haben.

Der österreichische Tenor Martin Mitterrutzner (34) und sein Liedpianist Gerold Huber sind diesen schwierigen Weg gegangen - und es gelang ihnen doch ein in jeder Hinsicht fantastisches Konzert, eine Sternstunde des Liedgesangs, die man nicht genug rühmen könnte.

Denn den vielen Liedern von Franz Liszt, Franz Schubert und Benjamin Britten wohnte eine innere Idee inne: Fast alle behandeln sie den Rausch der Liebe - durchaus gelegentlich in humoristischer Form. Natürlich geht es in klassischen Liedern sehr oft um dieses Thema, aber gerade in der Romantik meist eher in einer eher wehmütigen Art, als unerwiderte Liebe, die manchmal bis zum Liebestod führt. Kaum etwas davon ist bei diesem vom Konzertverein veranstalteten Liederabend im Ingolstädter Festsaal zu spüren. Die Heldin des Abends, die in verschiedenen Liedern immer wieder erwähnt wird, ist Laura, jene Laura, der der Dichter Francesco Petrarca viele Werke gewidmet hat. Und die bei anderen Dichtern und Komponisten ein poetisches Nachleben führte, etwa bei Liszt und Schubert.

Hinreißend war der Liederabend aber besonders durch die gestalterische Kraft von Martin Mitterrutzner. Besonders in den ersten Liedern des Abends, Liszts Vertonung von vier Gedichten Victor Hugos, sang der Tenor unübertrefflich. Die Lieder verlangen eine extreme Bandbreite des Ausdrucks, riesige Gegensätze müssen spürbar gemacht werden. Mitterrutzner verwandelte seine Stimme in Sekundenschnelle, er trompetete herrisch eisige Töne, um im nächsten Moment unendlich zart zu säuseln. Seine Stimme ist höchst flexibel und beweglich, verfügt aber stets über genügend Substanz und metallischen Glanz, um auch opernhafte Ausbrüche hervorragend zu bewältigen. Der Tiroler ist bisher vor allem auf den Opernbühnen erfolgreich. Aber seine Stimme ist gerade auch für den Liedgesang wie geschaffen.

Bei den Liedern von Benjamin Britten wurde noch eine andere Fassette des Liedinterpreten deutlich: Ohne viel Aufwand zu treiben, fast hintergründig offenbarte er den feinen Witz dieser Lieder. Und er vermochte auch, den jazzigen Unterton einiger Songs herauszuarbeiten.

Sehr behutsam ging der Tiroler mit den frühen Schubert-Liedern um. Mit ungekünstelter Stimme sang er sie in schlichter, natürlicher Weise. Spannend im Zusammenspiel mit Gerold Huber gelang besonders das Lied "Laura am Klavier", das im Vor- und Nachspiel eine kleine Klaviersonatine zu enthalten schien, während der Sänger in weiten Teilen sehr textbezogen, fast rezitativisch agierte.

Wie gut die Werke aufeinander abgestimmt waren, zeigte sich etwa beim Beginn der letzten sieben Lieder von Franz Liszt an diesem Abend. Hier übernahm das Lied "Kling leise, mein Lied" geradezu den Tonfall von Schuberts "Der Jüngling an der Quelle", das zuvor vorgetragen wurde. Die Klavierstimme, die gleichsam das Strömen der Quelle imaginierte, ging fast übergangslos zu Liszts anregend wogender Begleitung über.

Überhaupt: All die großartige Interpretationskunst von Mitterrutzner wäre fast nichts ohne den fabelhaften Liedpianist Gerold Huber, der bereits zum zweiten Mal in dieser Konzertsaison in Ingolstadt gastierte. Er vermochte wie wenige, die Stimme in einen Klangraum voller Bezüge und Assoziationen zu stellen: Vor unseren Ohren ließ er Bäche murmeln, Winde über Landschaften fegen, skurrile Ideen schrill leuchten, Verliebtheit süßlich schimmern. Ganze Welten entstanden im Monochrom der Klaviertöne. Auch das waren Momente betörender Einzigartigkeit.

Jesko Schulze-Reimpell