Ingolstadt
"Der Begriff Subventions-Tropf ist unpassend"

11.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:52 Uhr
Die Zuschüsse für die bayerischen Theater fallen recht unterschiedlich aus. Ingolstadt kommt mit weniger Geld aus, weil es nur ein Schauspiel-Ensemble hat, Augsburg bietet auch Oper und Ballett und verfügt über ein eigenes Orchester. −Foto: Kick Film/dpa

Ingolstadt (DK) Kaum ein Land der Welt fördert seine Kultur so stark wie Deutschland. Marc Grandmontagne, Direktor des Deutschen Bühnenvereins, verteidigt das Engagement der öffentlichen Hand. In einer Veranstaltung unserer Zeitung soll am 23. Januar auch über Ingolstädter Kulturausgaben diskutiert werden.

Herr Grandmontagne, Deutschland ist eine der großen Kulturnationen, wird immer gesagt. Ist da eigentlich etwas dran?

Marc Grandmontagne: Die Kulturausgaben der öffentlichen Hand liegen bei rund 10 Milliarden Euro. Es kam jetzt die Nachricht, dass die Ausgaben des Bundes wieder um 140 Millionen Euro gestiegen sind auf 1,9 Milliarden Euro. Das heißt, das sind ca. ein Fünftel der öffentlichen Kulturausgaben, der größere Teil kommt von Kommunen und Ländern. Damit fördert die öffentliche Hand eine einzigartige Fülle von Akteuren und Institutionen aller Sparten und natürlich auch die Theater und Orchester.

 
Aber die Kultur in Deutschland hängt auch mehr als in anderen Ländern am Subventions-Tropf.

Grandmontagne: Ich möchte Ihnen da begrifflich widersprechen. Der Begriff SubventionsTopf ist unpassend. Es geht nicht um Subventionen, sondern um Förderung. Und diese Förderung folgt aus Artikel 5 des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat klar herausgearbeitet, dass die Kunstfreiheit nicht nur ein Abwehrrecht ist, sondern auch ein Recht auf Teilhabe des Bürgers an der Kultur. Und das bedingt, dass die öffentliche Hand aktiv dafür sorgen muss, dass die Rahmenbedingungen für eine öffentlich zugängliche Kultur überhaupt gegeben sind. Es handelt sich daher um öffentliche Ausgaben und keine Subventionen. Subventionen gibt es in der Wirtschaft und sie dienen dazu, Betriebe fit zu machen für die wirtschaftliche Selbstständigkeit. Das ist nicht die Aufgabe der Kulturbetriebe, wie einem öffentlichen Theater oder Orchester. Wir sprechen hier von kultureller Daseinsvorsorge.
 

Was sagen Sie eigentlich denjenigen, die meinen, die Kultur sollte sich ohne staatliche Zuschüsse finanzieren? Schließlich sind längst nicht alle Menschen an klassischen Konzerten und anspruchsvollen Schauspielinszenierungen interessiert.


Grandmontagne: Da bringe ich mal ein Gegenbeispiel: Ich muss ja von meinen Steuergeldern auch die Polizeieinsätze bezahlen, wenn jede Woche die Fußball-Rowdies aneinandergeraten. Ich gehe auch nicht zum Fußball - aber trotzdem gibt es bestimmte Leistungen der Öffentlichkeit, die notwendig sind. Wie gesagt, es geht hier um Strukturen der Daseinsvorsorge, und dazu gehören im Kulturellen auch bestimmte Institutionen. Die können Kulturveranstaltungen zu Preisen anbieten, die es möglichst vielen Leuten ermöglichen das Angebot anzunehmen.
 

Trotz des Reichtums scheinen viele Kulturinstitutionen sich auf dem Rückzug zu befinden. Gibt es nicht immer weniger Orchester und finanziell immer schlechter ausgestattete Theater?

Grandmontagne: Das stimmt so nicht. Nach der Wende gab es einige Fusionen und wenige Schließungen von Theatern und Orchestern, gerade in den neuen Bundesländern. Die hatten ein sehr reiches Kulturangebot, das vom Publikum dann auch gar nicht mehr so nachgefragt wurde. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen uns hingegen eine relativ stabile Kulturlandschaft, auch bei den Orchestern.
 

Viele Kommunen glauben, sie könnten bei der Kultur sparen. Was bringt die Kulturförderung eigentlich den Städten?

Grandmontagne: Das ist eine schwierige Frage, wenn Sie von mir jetzt einen nachweisbaren wirtschaftlichen Effekt genannt haben wollen. Ich bin davon überzeugt: Es gibt eine Pflicht zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Kulturförderung in den Kommunen ist eine freiwillige Leistung. Freiwillig heißt natürlich nicht unnötig, sondern bedeutet, dass die Kommunen eine Wahlfreiheit besitzen, welche Kultur sie genau fördern wollen. Die Verfassungsgesetzgebung wollte damit erreichen, dass es vor dem Hintergrund der Nazi-Diktatur keine Instrumentalisierung der Kulturpolitik durch den Staat gibt, sondern dass kulturelle Ziele immer wieder neu demokratisch und kommunal ausgehandelt werden sollen. Das Kulturangebot macht natürlich eine Stadt reicher, es gibt Standortvorteile. Man kann sagen, dass ein kulturelles Umfeld für Menschen immer interessanter ist, als wenn sie kein solches Umfeld vorfinden. Es gibt auch positive Effekte auf die Arbeitseinkommen in einer Region. Aber es handelt sich stets um indirekte Wirkungen. Man kann sich ja selber mal fragen: Wie viel attraktive Stadt bleibt eigentlich noch, wenn sämtliche Kulturinstitutionen einfach gestrichen würden?
 

Gab es in den vergangenen Jahren so etwas wie eine Arbeitsverdichtung an den deutschen Theaern: Für das gleiche Geld mehr Produktionen und Aufführungen?

Grandmontagne: Das ist so, zweifelsohne. Ich habe mir die Zahlen über mehrere Jahrzehnte mal angesehen. Was extrem angestiegen ist, ist die Anzahl der Aufführungsstätten. Es wird ja inzwischen nicht nur im Theater produziert, sondern Downtown in Industriehallen usw. Es gibt zudem mehr Premieren. Und die "fünfte Sparte" hat sich deutlich weiterentwickelt - also Diskursveranstaltungen, Werkeinführungen, Nachbesprechungen, Diskussionen. Der Grund ist relativ einfach: Die Gesellschaft unseres Landes wird immer vielfältiger, die öffentlichen Kulturinstitutionen wollen darauf natürlich mit einem erweiterten Programmangebot reagieren.

 Trotz dieser höheren Quantität des Angebots liegen die Einkommen von Künstlern immer noch auf niedrigem Niveau.

Grandmontagne: Wir arbeiten daran. Am 1. April dieses Jahres haben wir die Mindestgage für Schauspieler auf 2000 Euro brutto angehoben. Sie war in der Spielzeit 2013/14 noch bei 1650 Euro. Die Mindestgage gilt allerdings längst nicht für alle künstlerischen Mitarbeiter an den verschiedenen Häusern. Der Durchschnitt liegt höher, bei etwa 2500 bis 3000 Euro. Trotzdem haben Sie recht: In vielen Städten sind auch die Lebenshaltungskosten gestiegen. In München ist es bei einem solchen Einkommen sicher schwer, eine Wohnung zu finden. Einige Städte wie z.B. Ingolstadt sind von sich aus schon freiwillig bei der Mindestgage auf ein höheres Niveau gegangen. Bei größeren Häusern ist das auch häufiger der Fall.
 

Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ungerecht bezahlt wird. Warum verdienen Orchestermusiker und Chorsänger vergleichsweise so viel mehr als Schauspieler und Opernsänger?

Grandmontagne: Orchestermusiker haben einen eigenen Tarifvertrag und sind dabei bereits von Anfang an auf einem höheren Niveau eingestiegen. Das hat historische Gründe, viele Orchestermusiker waren Beamte. Auch der Chor startete von einem anderen Punkt. Das liegt auch daran, dass große Kollektive bei Tarifverhandlungen eine größere Macht zur Verfügung haben. Das Orchester hat in der Politik oft einen viel stärkeren Rückhalt als etwa Theater. Da ist die Bereitschaft, mehr zu zahlen als bei Schauspielern oder Tänzern größer. Fairerweise muss man aber sagen, dass unter den Schauspielern einige doch auch sehr gut verdienen. Ich habe von Schätzungen gehört, die ca. zehn Prozent im Bereich der Mindestgage ansiedeln, die Zahlen kann ich allerdings nicht bestätigen, da der Bühnenverein hierüber noch keine Daten erhoben hat. Für diese Künstler möchten wir natürlich noch etwas tun.
 

In manchen Kommunen ist die Bereitschaft, Geld für Kultur auszugeben nicht allzu hoch. Kann Sponsoring das ausgleichen, was die öffentliche Hand nicht mehr leisten kann oder will?

Grandmontagne: Nein! Es gibt keine offizielle Zahl, was Sponsoring leistet. Wenn ich mich richtig erinnere, hat vor Jahren der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft verlautbart, dass das private Sponsoring sich etwa auf 400 bis 600 Millionen Euro beläuft. Wir reden also von wenigen Prozent der öffentlichen Förderung, damit ist natürlich nichts zu reißen. Wir leben aktuell noch in einer Phase, in der die öffentlichen Einnahmen ganz zufriedenstellend sind, und man spürt an vielen Orten, dass durchaus etwas für die unteren Lohngruppen getan wird.
 

Viele Orchester - wie in Ingolstadt das Georgische Kammerorchester - arbeiten nicht tarifgebunden, obwohl sie städtische Institutionen sind. Warum?

Grandmontagne: Ich kann wenig dazu sagen, da unsere Mitglieder alle tarifgebunden arbeiten.
 

Gibt es Anstrengungen von Ihnen, freie Orchester davon zu überzeugen, in den Tarif zu gehen?

Grandmontagne: Wir machen da keine Werbetour durchs Land. Letztlich ist das eine Entscheidung der Politik.

Das Interview führte Jesko Schulze-Reimpell.
 PodiumsdiskussionDeutschland ist eine Kulturnation. Aber was bedeutet das genau? Bekannt ist, dass die Nation in der Mitte Europas über eine Kulturgeschichte von einzigartiger Bedeutung zurückblickt: auf Komponisten wie Bach und Mozart, Dichter wie Goethe und Schiller, Künstler wie Beckmann und Beuys, Architekten wie Schinkel und Klenze. Aber es bedeutet noch mehr. Denn auch die gegenwärtige Kulturlandschaft ist einzigartig. Nirgends stehen so viele Theater und Museen, an keinem Ort der Welt sonst musizieren so viele Orchester. Keine Kleinstadt ohne Kulturzentrum, Kleinkunstbühnen, Galerien, Museen, wo man hinguckt. Ein Reichtum, um den uns die Welt beneidet. Und: ein kulturfreundliches Klima, das eine unglaubliche Vielfalt an Formaten, Experimenten, Klassikern ermöglicht. Das alles hat einen Grund: die Kulturförderung des Staates. Deutschland war jahrhundertelang  ein zerbrechliches Gebilde von feudalen Kleinstaaten, die alle ihr eigenes Kulturleben pflegten. Dafür ist im demokratisch organisierten Staat die öffentliche Hand eingesprungen. Paragraf 5 des Grundgesetzes verpflichtet Deutschland zur Kulturförderung und ermöglicht eine  Blüte der Künste. Zehn Milliarden Euro gibt die öffentliche Hand für die Kultur aus, das sind etwa 1 Prozent der öffentlichen Haushalte und 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Über Kulturfinanzierung Landes wollen wir in der dritten Gesprächsrunde zum Thema Stadtidentität am 23. Januar, 19.30 Uhr, diskutieren. Titel der Veranstaltung des DONAUKURIER und der Alf-Lechner-Stiftung: „Groschengrab oder Attraktivitätsmotor – zahlen sich Theater und Museen für eine Stadt aus?“ Auf dem Podium im Ingolstädter Alf-Lechner-Museum werden diesmal unter anderem der Kulturreferent der Stadt Ingolstadt, Gabriel Engert, der Stadttheater-Intendant Knut Weber und Oliver Falck vom Ifo-Institut München sitzen.jsr