Spannend wie ein Spionagethriller

Theater Augsburg: In "Auf dem Paseo del Prado mittags Don Klaus" werden drei Biografien verwebt

04.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:02 Uhr
Im Dickicht aus Herrschaft, Widerstand, Rache und Recht: Sebastian Müller-Stahl, Karoline Stegemann und Roman Pertl. −Foto: Fuhr

Augsburg - Wer ist Don Klaus?

 

Don Klaus ist Onkel Klaus, Don Claus ist Klaus Altmann, aber eigentlich ist Don Klaus Klaus Barbie, der als "Schlächter von Lyon" berüchtigte Gestapo-Chef, einer der schlimmsten Verbrecher der Nazi-Zeit. Einer von denen, die auch nach 1945 weitermachten. Als Mitarbeiter der CIA in Deutschland, später in Südamerika, wo er als Scherge verschiedener Militärdiktaturen weiter folterte, mordete, Folterer und Mörder ausbildete, Putsche organisierte. In der Anti-Kommunismushysterie des Kalten Krieges gab es für solche wie ihn immer einen Platz. Während seiner Zeit in Deutschland baute er ein Spitzelnetz aus ehemaligen SS-Leuten auf - der Sitz des "Büros Petersen" war in Augsburg.

Das war der Impuls für das Staatstheater Augsburg, ein Stück über Barbie in Auftrag zu geben. Was das "Theaterkollaborativ" Futur II Konjunktiv, hinter dem sich Johannes Wenzel und Matthias Naumann verbergen, geliefert hat, ist aber weit mehr als bloß ein weiteres Stück über alte Nazis in der Nachkriegszeit: Ihr "Recherchestück" ist eine breit angelegte, fulminante Reflexion über die schwierigen Fragen nach Schuld, Recht, Gerechtigkeit und Rache, über das Verdrängen und Vergessen, die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, auf Massenmorde moralisch und juristisch angemessen zu reagieren - spannend wie ein Spionagethriller. Denn um das Leben und Töten des Schlächters gruppieren sich Handlungsstränge, die wie von einem Thriller-Autor konstruiert wirken, aber wahr sind.

Da ist zum einen die Geschichte von Monika Ertl, Tochter von Hans Ertl. Er war Leni Riefenstahls Kameramann und half Barbie, nachdem der mit Hilfe der CIA und der katholischen Kirche in Bolivien gelandet war. Für Monika war Barbie "Onkel Klaus". Später engagierte sie sich sozial in Bolivien, baute ein Krankenhaus, radikalisierte sich und schloss sich der Guerilla an. Sie ist wohl die Mörderin von Roberto Quintanilla, dem bolivianischen Konsul in Hamburg, der als Geheimdienstchef die Ermordung von Che Guevara angeordnet hatte.

Und da ist schließlich die nicht weniger erstaunliche Geschichte von Michel Cojot-Goldberg, dessen Vater 1943 von Barbie verhaftet und deportiert wurde. Er lauerte in den 1970er-Jahren Barbie am Paseo del Prado in La Paz auf, konnte sich aber doch nicht entschließen, ihn zu erschießen. Cojot-Goldberg war auch an Bord des Flugzeugs, das palästinensische Terroristen nach Entebbe entführten. Tatsächlich alles kaum zu glauben.

Wie aber zeigt man das auf dem Theater? Die Textfassung der Uraufführung auf der Augsburger Brechtbühne ist von geschätzten acht bis neun Stunden auf drei gestrafft (Dramaturgie: Lutz Keßler), sprachlich dicht und intensiv. Erzählt wird nicht chronologisch, Zeiten und Orte wechseln ebenso wie die Rollen, in die die sechs durchweg beeindruckenden Schauspieler abwechselnd schlüpfen. Thomas Prazak etwa ist ein glatter, zynisch-sadistischer Barbie, der kalt kalkuliert, verdrängt, verharmlost und sich immer auf der Seite des Richtigen - also des Kampfs gegen den Kommunismus - sieht. Marlene Hoffmann zeigt überzeugend die Verwandlung Monika Ertls zur kämpferischen Guerilla, Roman Pertl ist ein anderer Michel Cojot-Goldberg als Sebastian Müller-Stahl, passend bei einer Figur, die innerlich zerrissen ist. Gerald Fiedler und Karoline Stegemann haben unter anderem mit zwei Monologen große Szenen.

Gerade diese beiden Passagen zeigen eine große Qualität des Stücks. Denn nicht nur Zeiten, Orte und Personen werden gewechselt, ohne dass der Zuschauer den Überblick verlieren würde, sondern auch der Modus von Sprache und Stil. Mal ist das Recherchestück ganz nah an seinen Verwandten aus dem Dokumentartheater dran. Dann wird aus Akten zitiert, nüchtern und ohne Kommentierung aufgelistet, wie lasch etwa die Justiz die Verfolgung Barbies betrieben hat. Obwohl er schon 1972 von den "Nazi-Jägern" Beate und Serge Klarsfeld enttarnt wurde, fand der Prozess erst 1987 in Lyon statt. Daneben gibt es aber auch Passagen, in denen das Schauspielerkollektiv wie ein Chor agiert oder einzelne Abschnitte fast Wort für Wort auf mehrere Schauspieler aufgeteilt werden. Und schließlich sind da eben große Monologe, deren sprachliche Wucht und literarische Qualität die Nüchternheit der Aktenprotokolle kontrastieren. Genau wegen dieser Vielfalt auf hohem Niveau funktioniert der Text auf der Bühne, obwohl er eigentlich kein Theatertext ist.

Trotz der großen Textmassen wird alles nie statisches Erzähltheater, die Dynamik der Sprache und der Konstruktion treibt das Stück an und lässt den Spannungsbogen nie abbrechen. Die Dichte des Textes hat wiederum ihre Entsprechung im rosa-orangen Bühnenbild von Cristina Nyffeler, in dem alles zeichenhaft aufgeladen ist - selbst die zunächst etwas irritierenden Fliesensäulen, die auf das Augsburger Stadtbad verweisen; gleich dort hatte Barbies "Büro Petersen" seinen Sitz.

Nur ganz selten nimmt mal das protokollhafte Referieren überhand, was aber wohl der starken Kürzung geschuldet ist, und man mag den Schluss, der - natürlich - einen Bogen zum Rechtsradikalismus unserer Tage und den NSU-Morden spannt, etwas zu didaktisch finden. Aber wo zu viel geschwiegen wurde und wird, darf man auch mal ein paar Worte zu viel machen.

Die Fragen nach Schuld, Recht, Gerechtigkeit und Rache beantwortet auch Futur II Konjunktiv nicht. Wie auch. Es sind unbeantwortbare Fragen, die gerade deswegen immer wieder gestellt werden müssen. Genau das tut das Recherchestück in bester aufklärerischer Tradition in drei Stunden, die nicht eine Minute zu lang scheinen.

DK

ZUM STÜCK
Theater:
Brechtbühne im Gaswerk,
Staatstheater Augsburg
Text:
Matthias Naumann
Inszenierung:
Johannes Wenzel
Bühne und Kostüme:
Cristina Nyffeler 
Vorstellungen
bis 4. Juni
Kartentelefon:
(0821) 3244900

Berndt Herrmann