Ingolstadt
Tränentropfen für die Ewigkeit

Schumanns Oratorium "Das Paradies und die Peri" bei den Sommerkonzerten hinterlässt gemischte Gefühle

08.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:41 Uhr
Abenteuerliche Story und großartige Musik: Jérémie Rhorer dirigiert das Orchester Le Cercle de l'Harmonie und die Audi-Jugendchorakademie im Ingolstädter Festsaal. Auf dem Programm steht Robert Schumanns "Das Paradies und die Peri". −Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) Ein rätselhaftes Stück. Als das weltliche Oratorium "Das Paradies und die Peri" 1843 in Leipzig uraufgeführt wurde, war es nicht nur das längste Werk, das Robert Schumann bis dahin zu Papier gebracht hatte, sondern bald darauf auch sein größter Erfolg.

In den kommenden Jahren bis 1855 wurde das circa 90-minütige Vokalwerk rund 50-mal nachgespielt. Heute dagegen ist die "Peri" weitgehend vergessen. Erst in den vergangenen Jahren bemühten sich Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt und Simon Rattle mit gewissem Erfolg, das merkwürdige Oratorium für Gesangssolisten, Chor und Orchester wieder auszugraben.

Aber die krude Mixtur aus Orientschwärmerei, romantischem Überschwang und Erlösungswahn, voller Naivität und Märchenmurks, die auf der "Lalla Rookh"-Dichtung von Thomas Moores basiert, einem Bestseller des frühen 19. Jahrhunderts, ist für heutige Musikfreunde eigentlich unverdaulich. Allein die in eine pompöse Fuge integrierten, von Hörner-Pathos eingeleiteten Textzeilen befremden zutiefst: "Denn heilig ist das Blut, / Für die Freiheit verspritzt von Heldenmut. "

Irritierend ist vor allem die Handlung: Peri, die Tochter eines gefallenen Engels und einer Menschenfrau versucht sich von der Erbschuld ihrer unreinen Geburt reinzuwaschen, um Eingang ins Paradies zu finden. Den Wächtern der Himmelpforte bietet sie mal den letzten Blutstropfen eines Kriegshelden, dann den Todesseufzer einer von der Pest infizierten Liebenden und am Ende die Träne eines reuigen syrischen Sünders.

Schumann wollte mit dem Oratorium musikalisches Neuland betreten, nach eigener Einschätzung "beinahe ein neues Genre für den Concertsaal". Tatsächlich lässt er die Oratorien-Tradition, in der immer noch zwischen Rezitativen, Arien und Chorsätzen gewechselt wird, zugunsten einer flüssigeren Erzählstruktur ein Stück weit zurück. Heraus kam ein buntes Stilgemisch zwischen lärmender Schlachtmusik, heroischen Chorfugen, transzendenter Engelsschwärmerei, Volkslied und Arie. Dabei ist die gesamte Komposition in einem milde-melancholisch-verklärten Tonfall komponiert.

Der durchaus mitzureißen vermag, zumindest, solange man dabei über den ebenso verstiegenen wie verschnörkelten Text hinweghört.

Bei den Audi-Sommerkonzerten erklang die "Peri" nun in einer Version mit Originalinstrumenten unter der Leitung des französischen Dirigenten Jérémie Rhorer im Ingolstädter Festsaal. Als Ganzpunkt der Aufführung erwies sich vor allem die Audi-Jugendchorakademie. Die Klarheit und Prägnanz, die Präzision und das Feuer mit der die jungen Sängerinnen und Sänger die Chorpassagen darstellten, war absolut überwältigend - etwa die heiter-luftig vorgetragene Nil-Szene zu Beginn des zweiten Teils oder der volksliedhafte Houris-Gesang (Beginn des dritten Teils). Beim bombastischen Jubelschluss entfesselte der Audi-Chor erstaunliche Kraftreserven und hüllte den Ingolstädter Festsaal in einen überirdisch-euphorischen Klangrausch. Dabei hatte auch die Peri ihren letzten großen Auftritt mit dramatischen Spitzentönen. Sarah Wegener sang die Partie mit großer Anteilnahme und Identifikation, mitliebend und leidend, hinreißend musikalisch. Wie überhaupt das gesamte Sänger-Ensemble von exquisiter Qualität war. Am eindrucksvollsten wahrscheinlich der flexible Tenor Werner Güras, die klare, fast vibratolose Stimme von Katja Stuber, der warme, nicht allzu tiefe Mezzo von Valentina Stadler, der Elan von Sascha Emanuel Kramer und der mit wohligem Bariton, sehr textverständlich auftretende Kresimir Strazanac.

Problematischer agierte das Orchester Le Cercle de l'Harmonie unter der Leitung ihres Gründers und Chefs Jérémie Rhorer. Natürlich ist erdiger Originalklang bei einem Romantiker wie Schumann für unsere Ohren ungewohnt. Da fehlt es an süffigem Streicherglanz, an butterweichen Horneinsätzen, an warm-vibrierenden Oboen. Das gesamte Stück kommt so etwas ruppig daher.

Aber das ist nicht alles. Das französische Orchester spielte auch überraschend hölzern, kühl, starr und leidenschaftslos. Der typische, etwas überschwängliche Schumann-Sound wollte sich einfach nicht einstellen. So blieb die große Märchen-Show mit erlösendem Tränentropfen, Engelsmusik und Paradiesgesang am Ende ein wenig blass.

Jesko Schulze-Reimpell