Vorsprung durch Experimente

30.07.2018 | Stand 02.12.2020, 15:58 Uhr
Das Premium-Festival: Vielseitig wie selten zuvor war das Angebot heuer. −Foto: Sauer

Die Audi-Sommerkonzerte wirkten in diesem Jahr so attraktiv wie schon lange nicht mehr. Eine neue künstlerische Leitung verdichtete das Programm, experimentierte mit neuen Konzertformaten, lud unorthodoxe Künstler ein und bot anregende Zusatzveranstaltungen.

Die reinen Zahlen sind bereits eindrucksvoll bei den Audi-Sommerkonzerten. Vier Konzerte fanden heuer vor ausverkauftem Haus statt: die Gastspiele von Sol Gabetta, Pekka Kuusisto, Cameron Carpenter und dem Schumann-Quartett. Mehr als 22 000 Besucher kamen zudem zu den beiden Open-Air-Konzerten im Klenzepark: Damit wurde die Kapazitätsgrenze des Geländes fast erreicht. Aber auch alle anderen Konzerte waren weit besser besucht als vergleichbare Veranstaltungen bei den Festivalrunden der vergangenen Jahre. Bei einigen Konzerten sind die Besucherzahlen ohnehin nicht relevant, etwa beim Hauskonzert, bei dem die Gastgeberin  verantwortlich war oder beim Konzert von dPOIUM, das im Rahmen des ausverkauften Taktraumfestivals stattfand. Also ein rundherum gelungenes Festival in diesem  Jahr?
 
Nun, die Qualität einer Konzertreihe ist sicherlich nicht allein durch volle Säle und gute Kartenverkäufe zu bestimmen. Es geht um mehr: Um das Niveau der Künstler, die Ideenvielfalt, darum, ob Festival-Feeling entstehen kann.
 
In den vergangenen Jahren waren die Sommerkonzerte nach und nach in eine Krise getaumelt. Besonders nachdem der bedeutende amerikanische Dirigent Kent Nagano seine dreijährige Amtszeit als künstlerischer Leiter des „Vorsprung-Festivals“ (im Rahmen der Sommerkonzerte) beendet hatte, fehlte eine gestaltende Handschrift. Das Premium-Festival büßte nach und nach seinen Nimbus ein, seine Einzigartigkeit und Exklusivität, die es besonders noch hatte, als Karl-Heinz Rumpf  in den 90er-Jahren an der Spitze stand. Damals gelang es, Künstler wie Carlos Kleiber, wie Sergij Ozawa zusammen mit den Wiener Philharmonikern, Mstislaw Rostropowitsch und Anne-Sophie Mutter  zu verpflichten. Große Namen ersetzten damals allerdings ein echtes Konzept. Mit den Open-Air-Konzerten gewann das Festival vor etwa zehn Jahren noch einmal an Format. Allerdings zögerte Audi  zuletzt, die Möglichkeiten dieses überaus beliebte Formats wirklich zu nutzen. Das ist in diesem Jahr anders gewesen. Ruth Schwerdtfeger, die heuer erstmals als künstlerische Leiterin das Festival gestaltete, stellte die beiden Freiluftkonzerte an den Anfang  – als Paukenschlag, der die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Festival lenkte. Und sie ging ambitionierter vor, schob experimentelle und populäre Werke ins Programm, lud einen echten Star, den Pianisten Fazil Say, und eins der weltbesten Orchester ein, das Mahler Chamber Orchestra.
 
Überhaupt versammelte Schwerdtfeger in diesem Jahr einige der spannendsten Solisten, die derzeit zu finden sind. Dazu zählen etwa die Geigenrevolutionärin Patricia Kopatchinskaja und der Orgel-Punk Cameron Carpenter, ebenso die Cellistin Sol Gabetta und der Komponist Peteris Vasks.  Und es gab eine echte Entdeckung. Der erst 32-jährige Dirigent Santtu-Matias Rouvali leitete das Philharmonia Orchestra mit elektrisierendem Verve. 
 
Oberstes Gebot dieser Festivalrunde war die Vielseitigkeit.  Jedes Konzert hatte ein völlig anderes, oft  kühnes Konzept,  immer wieder wechselten die Veranstaltungsorte, deren Charakter  nicht selten direkt mit dem Programm und den Künstlern in Beziehung standen.   Besonders spannend geriet dabei das Konzert im Museum für Konkrete Kunst. Und Schwerdtfeger verstand, dass Festivals heute mehr bieten müssen als gut Musik. Zu fast jedem Konzert gab es Zusatzangebote, Diskussionen, Einführungen, die durchweg gut besucht waren. Und die hervorragend gestalteten Programmhefte vertieften das Festivalmotto „Sehnsuchtsorte“.
 
Die Sommerkonzerte sind dabei, sich neu zu erfinden. Da könnte man es fast bedauern, dass im kommenden Jahr nicht mehr alleine Ruth Schwerdtfeger, sondern Lisa Batiashvili das Festival leiten wird.  Die berühmte Geigerin ist die Tochter eines ehemaligen Mitgliedes des Georgischen Kammerorchesters. Sie kennt Ingolstadt genauso wie die internationale Musikszene. Das macht sie zur großen Hoffnungsträgerin für die Sommerkonzerte.