München
Sehnsucht nach Spiritualität

Museen in München und Ingolstadt beschäftigen sich mit dem "Geistigen in der Kunst"

13.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:04 Uhr
  −Foto: Eisch/DG

München (DK) In einer Zeit, die geprägt wurde von industriellem Fortschritt, von revolutionären Erkenntnissen der Wissenschaft und von einem weit verbreiteten Materialismus, veröffentlichte der russische Künstler Wassily Kandinsky 1912 seine viel beachtete Schrift "Über das Geistige in der Kunst".

Zeitgleich mit anderen Künstlern wie etwa Kasimir Malewitsch suchte er nach Möglichkeiten, wie sich das Spirituelle, Transzendente darstellen ließe - und gelangte zu einem ungegenständlichen, abstrakten Malstil. Welche Positionen nehmen heute zeitgenössische Künstler ein, in einer Zeit der digitalen Revolution und der gesellschaftlichen Verunsicherung?

Das 125-jährige Bestehen der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst (DG) im Herbst 2018 ist Anlass für ein Kooperationsprojekt der DG mit dem Museum für Konkrete Kunst (MKK) in Ingolstadt. Benita Meißner wählte für die Münchner Galerieräume Werke von sieben Künstlern aus unter dem Motto "Kandinsky weitergedacht", ihre Kollegin Simone Schimpf wird in Ingolstadt eine größere Auswahl zeigen, die Malewitschs Spuren folgt. Der gemeinsame Ausstellungstitel lautet: "Über das Geistige in der Kunst - 100 Jahre nach Kandinsky und Malewitsch". Noch vor wenigen Jahren, so Simone Schimpf, hätten manche Künstler Berührungsängste gegenüber einem solchen Thema gehabt - "aber jetzt gibt es eine große Sehnsucht nach Spiritualität".

Deutlich wird in der Münchner Ausstellung an exemplarischen Werken ein formaler Minimalismus, ein Bestreben nach Klarheit von Form und Farbe sowie die Suche nach subjektiven Lebensspuren und einer Entfaltung im Raum. So fertigt die in München lebende Brigitte Schwacke feine Gespinste aus dünnem Draht, deren Strukturen der Gleichmäßigkeit und der Verdichtungen für ihre eigene Befindlichkeit in einem ganzen Jahr stehen. Gewundene Chiffren aus schwarzer Ölfarbe streicht der Leipziger Künstler Bastian Muhr auf 15 weiß grundierte Papiere, und über den Entstehungsprozess dieser Muster aus zusammengedrängten Bahnen und Kurven sagt er: "Ich komme damit zu mir selbst. "

Wie weit reicht die Erkenntnis des Menschen? - Dieser Frage geht der Schweizer Rainer Eisch in einem Video nach, das computergesteuert die Bewegungen eines Schwarmes zeigt, während die Russin Yelena Popova mit subtil eingesetzten Pigmenten auf der Leinwand Spuren hinterlässt und etwas andeutet, was der Mensch nur mit Hilfe der Technik erkennen kann - die Radioaktivität. Menschliches und tierisches Blut ist das Malmittel der Belgierin Edith Dekyndt, und dieser "Farbstoff", der die Leinwand durchtränkt oder das Papier strukturiert, ist ein Verweis auf Verwandlung und Vergänglichkeit. Die Imagination, die weiter reicht als alle Materie, führen auf spielerische Weise Anna Borgman und Candy Lenk aus Berlin vor Augen, indem sie einen roten Handlauf im Raum installieren, zu dem jeder Betrachter die Treppe ergänzen kann.

Eine ähnliche Verknüpfung von Alltagsgegenstand mit spiritueller Weite gelingt Hubert Kiecol aus Köln, der einen gelben Spind auf den Sockel hebt und bei geöffneten Schranktüren nichts anderes zeigt als Leere. Objekte wie diese ermöglichen es, dass die "Ruach", der göttliche Windhauch, einkehren kann, wenn sich die Betrachter in der Stille auf die Exponate einlassen, sie mit den Augen durchwandern, sie meditieren. Denn "das Geistige in der Kunst" will mit Ruhe erspürt werden - andernfalls bleiben die Objekte nur Materie.

Bis zum 10. November in der Galerie der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, Finkenstraße 4 in München (nahe Wittelsbacherplatz), geöffnet dienstags bis freitags von 12 bis 18 Uhr, an Feiertagen geschlossen. Konzert-Matinee mit Werken von Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton von Webern am 16. September um 11 Uhr in der DG. Tagung in der Katholischen Akademie in Bayern zu "Kunst - Religion - Spiritualität. Von Schnittmengen und Abgrenzungen" am 20.10. von 9 bis 13 Uhr.

Annette Krauß