Ingolstadt
"Romeo und Julia" auf dem Rummel

Starke Bilder im Großen Haus: Mareike Mikat verlegt die Shakespeare-Tragödie in die Gegenwart

20.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:04 Uhr
Anrührendes Paar: Peter Rahmani und Karolina Nägele sind Romeo und Julia. −Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Es ist eine verbotene Liebe.

Und sie endet tödlich. Jeder weiß es. Doch wie sie da stehen vor dem Wohnwagen, Julia im weißen Bademantel, Romeo in dieser lächerlichen, goldfarbenen Karnevals-Rennfahrerhose, wie plötzlich die Worte fehlen, wie sie nur stehen und schauen, hilflos verliebt, das Denken im Leerlauf und Glück in jeder Pore, in diesem Moment wünscht man sich für die beiden ein bisschen mehr Zukunft. Aber in vier Tagen sind sie tot. Vergiftet. Wegen eines Missverständnisses. Weil ein Brief nicht rechtzeitig ankommt. Weil die verfeindeten Familien diese Verbindung sowieso nie zugelassen hätten. Mit "Romeo und Julia" schrieb William Shakespeare um 1594 die größte Liebesgeschichte aller Zeiten. Mareike Mikat hat sie nun im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt eindrucksvoll in Szene gesetzt. Für die Premiere am Freitagabend gab es viel Applaus. Gleichwohl wird die Inszenierung polarisieren.

Mareike Mikat hat sich für die Übersetzung von Sven-Eric Bechtolf und Wolfgang Wiens entschieden - und die Tragödie damit schon sprachlich ins Heute geholt. Jane-Fonda-Aerobic-Outfit, Vokuhila-Frisuren und Miami-Vice-Sound signalisieren: 80er-Jahre. Die rivalisierenden Clans der Capulets und Montagues gehören hier dem Schaustellergewerbe an. So blinkt auf Simone Mantheys Bühne ein Riesenrad hinterm Bauzaun. Vorne rechts parkt der (versenkbare) Wohnwagen der Lady Capulet, die hier als alleinerziehende Mutter Ausschau nach einem potenten Ehekandidaten für Tochter Julia hält. In dieses Milieu passt der Shakespearsche Mix aus Poesie und Tragik, rasantem Wortwitz und deftiger Komik perfekt. Hier ist es laut. Hier reimen sich Träume auf Schäume. Hier fackelt man nicht lange.

Herrlich ist dieser Rummel, den das Ensemble mit Lust bedient. Schon vor der Vorstellung verteilt Teresa Trauth als Amme aus ihrem Bauchladen rote Schokoherzen und erzählt Witze. Und noch während das Publikum Platz nimmt, wird ein rot-weißes Absperrband quer durch den Raum gespannt - als Demarkationslinie zwischen den Capulets und den Montagues. Das Saallicht erlischt - die Tragödie nimmt ihren Lauf.

Auf einer Kostümparty (Anna Sörensen hat neben verboten schrillen Outfits aus den 80ern lustige Karnevalskostüme besorgt) treffen Romeo und Julia das erste Mal aufeinander. Und schon ist es um beide geschehen. Zack. Peng. Die Liebe ist ein Sehnsuchtsort. Wider besseres Wissen findet die heimliche Trauung statt. Kurze Zeit später zetteln die rivalisierenden Gangs - hier mit Gokart und Bonanzarad- einen Streit an. Aggression und Alkohol. Plötzlich ist da ein Messer, plötzlich löst sich dort ein Schuss. Es gibt zwei Tote, Romeo wird verbannt und Julia soll mit dem Fürsten verheiratet werden. Ein Fluchtplan muss her.

Regisseurin Mareike Mikat hat Text und Personal gestrafft und konzentriert und stellt ins Zentrum ein seltsam anrührendes Liebespaar. Karolina Nägele und Peter Rahmani entsprechen so gar nicht den landläufigen Vorstellungen von Romeo und Julia. Und doch passen sie hier perfekt. Sie so wild und zart, gefügig und doch selbstbestimmt, so sehr Kind und schon so Frau. Er ein sanfter Riese mit Montague-Tattoo auf dem Unterarm und entrücktem Wesen. Ein Zweifler. Ein träumender Rebell. Die Liebe war ihm Spiel, jetzt ist sie plötzlich heilig. Es ist wunderbar, Karolina Nägele und Peter Rahmani beim Spielen zuzuschauen. Sie bilden ein ganz eigenes Kraftfeld.

Ein zweites, nicht minder spannendes, sind die Halbstarken beider Clans. Martin Valdeig führt sich als Mercutio gleich mit Furor ein. Grob und derb, mit spitzer Zunge und raschem Verstand, sehr beweglich, sehr präsent. Enik schlüpft in die Rolle des Benvolio - und was ihm schauspielerisch fehlt, macht er musikalisch wieder wett: Denn der Multiinstrumentalist und Sänger hat sich den Sound dieser Lovestory ausgedacht: Fusion, Poplärm, fragilste Melodien, klingklangklongendes Windspielgeflüster, Atmosphären, die er federleicht am Bass zupft. Auf der anderen Seite kämpft Jan Beller als Tybalt um die Ehre der Capulets: ein Heißsporn, cool bis ans Herz würde er gern sein und wirkt doch sehr kindlich, verletzlich.

Dann gibt es die Clowns auf jeder Seite: Teresa Trauth, die für ihre ewigplappernde, resolute, spitzbübische Amme Extra-Applaus erhält. Olav Danner als Pater Lorenzo mit seiner Kirche-to-go im Einkaufswagen: ein pragmatischer Gutmensch mit närrischen Allüren. Renate Knollmann ist die energische Clanchefin der Capulets und Gelegenheits-Domina. Zumindest, wenn der Fürst um diese Dienste bittet. Der ist hier gleichzeitig Bewerber um Julias Hand. Und Jan Gebauer präsentiert diesen Paris als rücksichtslosen, übergriffigen, fabulös finsteren Machtmenschen. Dazu kommt ein knappes Dutzend Statisten als Angehörige der Sippschaften, Schausteller, Partygäste, Zombies. Durch Mareike Mikats klares Farbkonzept - die Capulets tragen Rot, die Montagues Weiß-Schwarz - lassen sich die Lager gut unterscheiden.

Ansonsten setzt sie auf Tempo, Witz, eine kluge Lichtregie und raffinierte Bühnenlösungen und evoziert neben starken Bildern eine große Energie. Durch den Einsatz der Handkamera lassen sich intimste Momente heranzoomen und bedienen - auf die beiden großen seitlich angebrachten Leinwände projiziert - den Voyeurismus des Publikums. Weiter flimmern da Details von blinkenden Fahrgeschäften. Buntes Beben. Geschwindigkeitsrausch. Doch was sagen uns dunkle Aufnahmen von essenden oder wartenden Personen auf der Hinterbühne?

Am Grab ihrer Kinder reichen sich die zwei verfeindeten Familien die Hand zur Versöhnung. Shakespeare formulierte sein Ende als Utopie. Doch hier verharren Mutter Capulet (Renate Knollmann) und Vater Montague (Olaf Danner) ein wenig hilflos in ihrem Schmerz. Die Toten mögen tot sein. Trotzdem geistern sie als Zombies durch die Gegenwart. In aufgeheizten Zeiten gebiert Hass stets neuen Hass. Das Fünkchen Hoffnung auf Frieden ist da schnell verglüht. Der Beifall nach knapp drei Stunden spricht von Begeisterung und Ratlosigkeit gleichermaßen.

ZUM STÜCK
Theater:
Großes Haus Ingolstadt
Regie:
Mareike Mikat
Komposition:
Enik
Bühne:
Simone Manthey
Kostüme:
Anna Sörensen
Dauer:
160 Minuten mit Pause
Vorstellungen:
bis 20. Januar 2020
Kartentelefon:
(0841) 30547200

Anja Witzke